Lauftagebuch

Der Bückebergweg von Bad Nenndorf nach Porta Westfalica

Der Lauf beginnt für mich mit einem „Klong“. Ich war unvorsichtig, habe die Kirche in Bad Nenndorf fotografiert und bin dabei weitergelaufen. So mache ich das oft. Diesmal knutsche ich dabei einen Laternenpfahl, kann aber im letzten Moment noch den Arm hochreißen und meine Schulter zum Schutz nach vorne drehen. Es wird so kein frontaler Zusammenstoß, ich streife den Pfosten eher. Hoffentlich hat das keiner gesehen. Wenn das mal kein schlechtes Omen ist, den ersten Kilometer meines Laufs habe ich noch gar nicht hinter mir!

Start um Viertel vor acht Uhr am Bahnhof in Bad Nenndorf

Im Dunkeln bin ich mit dem Auto zum Bahnhof nach Bad Nenndorf gefahren. Dort startete um kurz vor 8 Uhr mein Lauf auf dem Bückebergweg, der mich nach 51 km am Bahnhof nach Porta Westfalica führen soll. Bei der Routenplanung habe ich noch einen optionalen Teil drangehängt und die Route bis zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal verlängert. Das ergäbe 55 km, aber erfahrungsgemäß kommen immer noch ein paar Bonusmeilen durch die Irrungen und Wirkungen eines so langen Laufs dazu.

Kirche in Bad Nenndorf

Ich nähere mich durch die Fußgängerzone dem ersten kleinen Höhepunkt meiner Laufreise. Für die Süntelbuchen-Allee im Kurpark hatte ich die Originalroute extra verbogen. Die Süntelbuche ist eine regionale Eigenart der Rotbuche, deren größte Vorkommen ursprünglich hier in der Region standen. Sie ist gekennzeichnet durch einen besonders verdrehten Wuchs. Der Anblick, der sich mir zu dieser frühen Stunde bietet, ist allerdings nicht so eindrucksvoll wie gehofft. Es sieht ein bisschen trostlos aus, weshalb ich schnell wieder meine laufende Aktivität aufnehme.

Nach dem Kurpark komme ich in ein Wohngebiet, dann auf einen schlüpfrigen Feldweg. Ich habe Mühe, einen sicheren Tritt zu finden. Ist das ein Vorgeschmack auf die weitere Tour? Die letzten Tage hat es teils heftige Regenfälle gegeben. Wie um den Gedanken zu bekräftigen, setzt zwischen Horsten und Beckedorf Regen ein. Der Gegenwind peitscht mir die Tropfen ins Gesicht, dass es auf meiner Haut sticht. Unangenehm, aber zum Glück schnell vorbei. Beckedorf, erkenne ich, kenne ich von einigen Durchfahrten mit dem Auto. Es liegt am Rand des Bückebergs und man kann von hier bis nach Wunstorf blicken, das von einem auffälligen Kaliberg markiert wird. Dahinter liegt das Steinhuder Meer, Ziel meines ersten 50-km-Laufs.

Es warten 1000 Höhenmeter

Die Süntelbuchen-Allee im Kurpark von Bad Nendorf

Damals war es flach, heute wird es hügelig, für mich Flachlandläufer sind die kommenden Steigungen fast schon Berge. Im Wesentlichen weist der Wanderweg X11 drei markante Erhebungen auf. Wenn man ihn, so wie ich, umgekehrt läuft und in Bad Nenndorf beginnt, dann wartet zunächst der Bückeberg mit dem höchsten Punkte des Laufs am Obernkirchener Sandsteinbruch. Danach wartet hinter Bad Eilsen der Harrl und schließlich der Höhenkamm des Wesergebirges. Dem ersten der genannten Anstiege sehe ich mich in Beckedorf gegenüber, als die Forststraße hinter dem Ort merklich ansteigt, nur kurz und knackig, dann ist eine Art Plateau erreicht. Zuvor hatte ich schon einige Höhenmeter in Bad Nenndorf selbst erklommen und wenn es so einfach weitergeht, dann ist mir nicht zu sehr Bange vor dem Rest.

Ich hatte bei der Planung des Laufes vor allem zwei Faktoren mit Argwohn betrachtet. Einerseits das Wetter, andererseits die ungefähr 1.000 Höhenmeter. Mit meinen über 50 km langen Läufen rund um Weihnachten hatte ich mir die Sicherheit geholt, dass die Distanz derzeit kein Problem für mich darstellt. Wie aber würden sich die Höhenmeter auf mein Befinden auswirken? Dann das Wetter oder vielmehr der Wind. Es waren Sturmböen von Westen angekündigt. Es macht mich nervös, neben der Kletterei eventuell auch noch gegen starken Gegenwind anzulaufen. Aber es kam wie es kam, das würde ich nicht beeinflussen können und wie meine Eltern früher immer sagten: „Bange machen gilt nicht!“

Für einen Augenblick kommt die Sonne heraus

Ein brutaler Anstieg

Nach gut 11 Kilometern spuckt mich der Wald auf einer Landstraße aus, der ich für einige hundert Meter folge, bis auf einem glitschigen Waldweg der nächste Anstieg von der asphaltierten Straße abzweigt. Die Kombination aus bergauf laufen und keinen richtigen Tritt zu finden, ist mies. Ich habe keinen richtigen Abdruck und komme nur mühsam hinauf. Oben dann signalisiert mir mein Forerunner am Handgelenk, dass ich von der Route abgekommen bin. Na toll! Es ist das zweite Mal, dass ich Probleme habe, den Weg zu finden. Es soll nicht das letzte Mal bleiben. Durch eine Art Hohlweg, es sieht aus wie ein Flussbett, nähere ich mich wieder dem Track auf der Uhr. Ein richtiger Wanderweg ist das nicht und ich stakse mehr durchs Laub als dass ich laufe. Ich nutze die Gelegenheit für einen Toilettenstopp.

Kurz darauf bin ich zurück auf der richtigen Strecke und eine Weile geht es weiter hinauf, zwei moderate Kilometer lang. Nur um einen Teil der gewonnen Höhe auf einem kilometerlangen Teilstück gleich wieder einzubüßen. Hinab zu laufen ist zwar schön, aber ich weiß natürlich, dass es dafür gleich wieder hinauf gehen wird. Mir wäre es lieber, der Weg bliebe eben. Was folgt, ist echte Schwerstarbeit. Der vor mir liegende Anstieg ist brutal und mir schießt das Laktat in die Muskeln. Oben angekommen, bin ich anständig am Keuchen und bemüht, wieder zu Atem zu kommen. Wenigstens kann es bis ganz nach oben jetzt nicht mehr so weit sein. Vertikal gerechnet, horizontal sind es noch ca. sieben Kilometer.

Zum höchsten Punkt des Laufs

Viele, viele Höhenmeter

Bis dahin verlaufe ich mich zunächst mal wieder. Ich laufe auf einem Forstweg und freue mich, dass es gerade etwas bergab geht. Die Gabelung registriere ich zwar, ziehe aber nicht einmal in Erwägung, dass der linke Abzweig der vorgegebene Weg sein könnte. Erst einige hundert Meter später bemerke ich meinen Irrtum und kehre um. Nach kurzer Inspektion des Weges, der einem Sumpfgebiet gleicht, kehre ich doch wieder zurück auf den Weg, auf dem ich vorher schon war. Der Wanderer, dem ich bei der Aktion zum dritten Mal begegne, muss sich fragen, was mit dem Läufer los ist, der hier hin- und her irrt.

Ich vertraue darauf, dass der Weg, den ich jetzt laufe, irgendwann wieder zum Bückebergweg führt oder es einen entsprechenden Abzweig gibt. Vorübergehend wächst der Abstand zwischen mir und der geplanten Route jedoch stetig bis auf über 500 m, dann kommt die erwartete Kreuzung. Als ich auf dem Weg zurück bin, hat Schneeregen eingesetzt und ich stehe am Rande des Obernkirchener Sandsteinbruchs. Für die versteinerten Dinosaurierfährten habe ich keine Muße, mache ein Bild und setze meinen Lauf fort.

Bloß nicht auskühlen, das Wetter ist unangenehm. Den ersten Snack habe ich mir bis zu diesem Punkt aufgehoben, aufgeschoben. Ursprünglich wollte ich den Riegel schon nach 20 km essen, habe den Zeitpunkt dann aber immer weiter hinausgezögert. Weil ich inzwischen ein größeres Hungergefühl habe, mache ich jetzt ernst. Ein Hungerast ist das Letzte, was ich gebrauchen kann. Der Riegel von SIS schmeckt großartig, ich feiere ihn komplett und werde kurz etwas panisch, als mir ein Stück runterzufallen droht. So muss sich ein Verirrter fühlen, dem ein Stück seiner letzten Vorräte verlustig geht.

Dinosaurierspuren am Obernkirchener Sandsteinbruch

Ein 10 km langer Rausch

Den höchsten Punkt der Strecke habe ich hinter mir. Etwas enttäuscht registriere ich, dass ich nicht einmal die Hälfte der heute bevorstehenden Höhenmeter bewältigt habe. Da wartet noch Einiges auf mich. Für den Moment geht es aber zunächst bergab und zwar für runde zehn Kilometer. Nicht durchgängig, aber in Summe. Nach 30 Kilometern komme ich nach langer Zeit aus dem Wald, laufe kurz auf einer Straße und muss dann auf einen fast nicht zu laufenden Waldweg. Die Fahrspuren der Forstfahrzeuge sind 30 – 40 Zentimeter tiefer als der Boden dazwischen. Dieser ist teilweise auf einen schmalen Grat geschrumpft, teils überflutet. Kurzum: Wäre ich auf der Straße geblieben, wäre ich damit besser gefahren. Es hätte zwar einen kleinen Umweg bedeutet, aber der hätte zum gleichen Ziel geführt. Die Körner, die ich für die Wattwanderung benötige, hätte ich auch für die paar Meter mehr investieren können.

Die Kilometer verfliegen, es überrascht mich, wie schnell ich 30 km hinter mir gelassen habe, wie gut es mir geht und doch höre ich immer kritisch in mich hinein. Überbleibsel schlechter Erfahrungen. Gibt es Anzeichen von Ermüdung? Wo zwickt es? Kommt der Hammer? Bisher ist alles gut. Das gilt auch für das rechte Knie, das nach meinem 55-km-Lauf zuletzt etwas schmerzte. Links von mir sprudelt ein kleiner Bach unterhalb eines mit Buchenlaub bedeckten Hanges, dahinter grüne Wiesen und sogar Sonnenschein. Erstmals bin ich heute in einem Flow und will ihn festhalten, solange es mir gelingt. Runner’s High, Flow, Rausch – wie auch immer man es nennen will, ich laufe mühelos, fühle mich großartig. Die Anstrengung ist genau richtig. Es ist der schönste Abschnitt des gesamten Laufs.

Zurück in der Zivilisation

Noch habe ich gut lachen, gleich kommt der Anstieg

Der Rauschzustand endet, als ich erneut nach dem Weg suchen muss. Links führt ein Trampelpfad ins Gebüsch und wenn ich den Wegweiser im Laufschritt richtig lese, dann soll ich dorthin abbiegen. Kann nicht sein, da geht es doch höchstens in die Gärten der Häuser, die hier an den Waldrand reichen. Der GPX-Track meiner Uhr führt mich eine kleine Steigung hinan, weg von dem Trampelpfad. Ich entscheide mich für die Uhr.

300 Meter später muss ich umkehren auf den Trampelpfad, der doch kein Schleichweg in die Hinterhöfe ist. Es ist die Definition eines Single Trails. Meine Schultern streifen links und rechts das Gebüsch, es ist kaum Platz für mich auf diesem schmalen Pfad, der mich unversehens auf einen in Treppen angelegten Weg führt. Ich bin in Bad Eilsen. Und wieder habe ich Probleme mit dem Weg. Der auf die Uhr geladene Track stimmt ganz offenbar nicht immer mit dem ausgeschilderten Weg überein und ich irre etwas durch den kleinen Kurort. Ich freue mich über die Abwechslung, die mir der Ort bietet, schließlich bin ich schon seit ein paar Stunden im Wald unterwegs. Es ist, als käme ich zurück in die Zivilisation.

Der Harrl

Hinter dem Kurpark erblicke ich eine steil ansteigende Straße. Mein Verstand benötigt einige Augenblicke, um einzuordnen, was er von meinen Augen gemeldet bekommt. Der Anblick lässt mich Schlimmes befürchten. 36 km habe ich bisher bewältigt und fürchte die Auswirkungen des Anstiegs auf meinen Zustand. So etwas habe ich bisher noch nie gemacht. Probieren geht über studieren, wie man so schön sagt. Ich mache mich also an den Aufstieg. Schön gleichmäßig und nicht zu schnell.

Folge dem Zeichen – X11

Zwei Kilometer weit zieht sich dieser Anstieg, was ich im Moment aber nicht weiß. Ich könnte zwar auf dem Höhenprofil der Uhr nachsehen, wie weit es noch bis zum „Gipfel“ ist. Danach ist mir bei dem Grad der Anstrengung aber nicht. Das „Monster“, mit dem ich hier Kämpfe, nennt sich Harrl, wie mir diverse Schilder mitteilen. Harrl am Arsch, denke ich. Und Hund am Arsch genauso. Mit dem Puls am Anschlag, setzt ein nicht angeleinter Hund plötzlich zur Verfolgung an, meint es aber nur lustig, wie mir die wenig schuldbewusste Besitzerin mitteilt. Für sowas habe ich nach fast vier Stunden Lauferei bei aktuell bis zu 10 % Steigung null Toleranz. Ich winke ab. Halb um anzudeuten, dass sie sich die lahme Ausrede an den Hut klemmen kann, halb um zu zeigen, dass mich die scheinbar immer gleiche Ausrede nervt.

Der Ida-Turm

Der Ida-Turm zeigt mir, dass ich den höchsten Punkt des Harrl erreicht habe. Zumindest vermute ich das. Würde ich einen Aussichtsturm bauen, dann auf den höchsten Punkt einer Erhebung. Oder wenigstens nah dran. Das Geläuf zeigt mir, dass ich recht habe. Es geht zuerst eben weiter, dann darf ich die gerade mühsam gesammelten Höhenmeter als Turbo für den Abstieg nach Bückeburg zünden. Geht auch in die Beine, macht aber mehr Spaß. Und zudem werden andere Muskeln gefordert, als beim bergauf Laufen.

Marathonmarke kurz hinter Bückeburg

Mein Weg durch die Stadt ist kurz, es reicht aber, um einen positiven Eindruck zu gewinnen. Unverhofft gerate ich in einen kleinen Trubel, offenkundig bin ich am Bückeburger Schloss, das noch immer von Alexander Prinz zu Schaumburg-Lippe bewohnt wird. Das Bauwerk ist eindrucksvoll. Grund genug, einen kurzen Fotostopp zu machen. 41 km liegen hinter mir und so viel Zeit muss sein.

Dann ist der Marathon für heute abgehakt. Etwas unter vier Stunden, das ist doch recht ordentlich für so einen Lauf. Vor mir taucht jäh das Mausoleum des Fürstentums Schaumburg-Lippe auf und prompt verpasse ich eine Abzweigung im Angesicht des imposanten Baus. Ich muss nach links, weg vom Bauwerk und hinein in ein Naturschutzgebiet. Es müffelt nach Schwefel. Was ich für brackiges Wasser halte, ist in Wahrheit eine Schwefelquelle. Das erfahre ich ebenso erst im Nachhinein wie die Tatsache, dass ich nun Niedersachsen verlasse. Hallo NRW! Bückeburg ist für mich ein Point of no return, wenn man so möchte. Der Bahnhof im Ort bietet die letzte Chance, vor dem Ziel auszusteigen. Vom Aussteigen kann keine Rede sein, ich bin gut drauf.

Am Schloss in Bückeburg

Die nervige Suche nach dem rechten Weg

Es geht dem Ende zu. Nicht unbedingt leistungsmäßig, aber ich bin auf dem letzten Drittel der Strecke. Je nachdem, ob ich mir den optionalen Teil noch gönne, ist das Ende schon mehr oder weniger absehbar. Das gibt noch einen extra Kick, den ich gleich dafür aufwenden kann, über einen abgeknickten Baum zu klettern, der quer über den mir vorgegebenen Weg liegt. 44 km geschafft.

Seit ich das Naturschutzgebiet verlassen habe, steigt das Geläuf bereits wieder sanft an. Sanft ist gut. Nur wird es so nicht bleiben, das kann ich auf dem Höhenprofil meiner Uhr unmissverständlich ablesen. Man muss schon ein Idiot erster Güte sein, sich so eine Strecke freiwillig auszusuchen! An einer Koppel biege ich artig der Uhr folgend auf einen ungeteerten Weg, lese das Schild „Privat“ und kehre auf die Straße zurück. Nach ein paar Metern mache ich wieder kehrt, weil der Track klar auf das private Gelände führt.

Unschlüssig entscheide ich mich letztlich für die Straße und mache so einen kleinen Umweg. Bis ich wieder auf die Route zurückkehre, bezwinge ich so ganz nebenbei gefühlt den Rest der bevorstehenden Höhenmeter, dann befinde ich mich am Besucherbergwerk Kleinenbremen. Ich habe Hunger und mich befallen seltsame Gelüste. Brot mit Camembert! Leider habe ich nur Gel. Ich habe eine Ahnung davon, warum manche Ultraläufer sich lieber mit echtem Essen verpflegen und auf Gels verzichten. Der ansteigende Weg zurück zum Wanderweg soll nur der Auftakt zu einem kräftezehrenden Finale sein. Am Parkplatz des Bergwerks wartet schon der nächste Anstieg. Und was jetzt kommt, tut richtig weh!

Zweikampf mit einem Fahrradfahrer

Mit meinem letzten Gel in der Hand kämpfe ich mich die steilen Windungen hinauf. 70 Höhenmeter verteilt auf einen Kilometer, das ist ein exquisites Vergnügen. Dann führt ein belaubter Matschweg bergab und mein Puls kann wieder sinken. Kurz war ich so blau, dass ich für einige Abschnitte ins Gehen verfallen bin. Das ist keine Schande, vor allem nicht nach 47 km, fast 48. Das letzte Gel, das ich während des Anstiegs in meiner Hand hielt, habe ich so sehr gequetscht, dass es ganz warm ist. Egal, ich brauche Energie für die letzten Kilometer, es ist nicht mehr weit.

Das Schlimmste liegt hinter mir, aber es wird nochmals hart. Das Geländeprofil zermürbt mich, es treibt so richtig seinen Spaß mit mir. Vielleicht war es doch nicht die großartigste Idee, den Lauf so herum anzugehen. Es geht auf und ab und auf und ab. Immer wieder auf und nieder. Dazu ist der Weg nicht immer in bestem Zustand und saugt zusätzlich an meinen Kraftreserven. Einem Radfahrer vor mir macht das Auf-und-Ab ebenfalls zu schaffen.

Mir gelingt es, ihn an einem Anstieg einzuholen und wir beginnen ein kurzes Gespräch. Es ist ihm möglicherweise unangenehm, dass er von einem Läufer eingeholt wird und weist darauf hin, dass ich bergan im Vorteil bin. Gönnerhaft gebe ich zurück, dass sich der Vorteil am nächsten Abhang in Luft auflöst. Und so ist es. Ich werde bei der nächsten Gelegenheit ziemlich nachhaltig stehengelassen. Nicht ohne, dass mir der Radler noch viel Spaß wünscht. Gleichfalls. Wenn der wüsste, wie viele Kilometer ich schon in den Beinen habe…

Über den 9. Längengrad

Kurz nach dem 50. Kilometer – immer ein tolles Gefühl – erreiche ich den 9. Längengrad. Ein Holzpfosten mit einer Aufschrift weist darauf hin. Ich hatte schon gefürchtet, dieses kleine Highlight verpasst zu haben. Das Wellenprofil nimmt kein Ende und so langsam frage ich mich, ob meine Uhr nicht eine Macke hat. Müsste ich nicht längst in Porta Westfalica sein? Der Weg bis hinauf zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal sollte 55 km betragen. Die habe ich schon fast auf der Uhr. Und weiter bin ich im Training noch nie gelaufen. Der Gedanke, die Uhr könnte sich vermessen haben, schlägt eine nervöse Saite in mir an. Habe ich noch gar nicht so viel geschafft? Ich will meine Leistungen auf jeden Fall ehrlich und aufrichtig erzielen und das wäre wie schummeln. Im Moment kann ich meine Zweifel nicht ausräumen, nur laufen und weitermachen.

Der 9. Längengrad

Nach 53 km beginnt sich der Weg abwärts zu neigen und ich komme auf eine Straße. Ich bin mir sicher, dass ich nun nur noch hinunter zum Bahnhof muss, aber die Route führt nicht hinab, sondern erneut hinauf in Richtung Fernsehturm, auf den ich durch das Blätterdach bereits immer wieder einen Blick erhaschen konnte. Von Steigungen habe ich inzwischen allerdings die Schnauze gestrichen voll. Das tut so weh, wie ich es sonst vom Mann mit dem Hammer kenne.

Meine Muskeln brennen und als ich mich entscheiden muss, den Wanderweg, der rechts von der Straße abzweigt, zu nehmen oder weiter auf der Straße zu bleiben, entscheide ich mich wider besseres Wissen für den Wanderweg. Ich erkenne schon ziemlich schnell, dass es eigentlich nicht der richtige Weg sein kann, aber hier geht es flach weiter, die Straße hingegen windet sich weiter nach oben. Ohne mich. Ich bleibe auf dem Waldweg, habe die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht.

Eine letzte Steigung zum Höhepunkt des Laufs

Nach einem guten Kilometer kommt die Steigung doch noch. Ein steiler Abzweig führt zurück auf die eigentliche Route. Da hätte ich auch auf der Straße bleiben können. Aber wie heißt es so schön: Nachher ist man immer schlauer. Weil ich inzwischen echt platt bin und mir nichts mehr beweisen muss, stoppe ich die Uhr und gehe nach oben zur Porta-Kanzel. Es soll der ungeahnte Höhepunkt meines Laufs werden. Der Aussichtspunkt eröffnet einen Blick nach Westen auf die Weser, die sich unter mir in einem Bogen zwischen Weser- und Wiehengebirge in die norddeutsche Tiefebene windet – die Porta Westfalica.

Gegenüber thront das Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Jetzt schon weiß ich, dass ich mir den Weg dort hinauf klemmen werde. Für heute reicht es. Der Blick ist atemberaubend und das Beste ist, ich kann ihn ungestört genießen. Das fühlt sich richtig an, denn ich würde diesen Moment ungern teilen, weil ich überzeugt davon bin, mir diesen Augenblick fast fünfeinhalb Stunden lang erarbeitet zu haben.

An der Porta-Kanzel

Stille Ankunft am Ziel

Vor meinem inneren Auge hatte ich mir immer eine Ankunft am gegenüberliegende Kaiser-Wilhelm-Denkmal ausgemalt, auf die Porta-Kanzel nie wirklich einen Gedanken verschwendet. Jetzt entpuppt sich der Aussichtspunkt als Höhepunkt meines Laufs und erfüllt mich mit Hochgefühl. Das ist das ideale Ende meines Laufs. Aufhören kann ich natürlich noch nicht, denn ich muss noch zum Bahnhof. Ich könnte natürlich gehen, aber ich merke jetzt schon, wie ich auskühle und es geht eh nur noch bergab. Wie schlimm kann es also werden?

Der Weg ist nicht hart, aber nur mühsam zu laufen. Es ist ein Single-Trail, matschig, teils mit eingearbeiteten Stufen und uneben. Ich bin sehr vorsichtig und tripple mehr, als das ich laufe. Auf einem gut ausgebauten Weg könnte ich bei dem Gefälle noch ein bisschen Tempo machen. Nicht aber auf diesem Eselpfad, im Gegenteil. Unten angekommen, bin ich froh, mir keine Verletzung zugezogen zu haben. Das war heikel, vor allem mit meiner ermüdeten Muskulatur und Konzentration. Die letzten Meter bis zum Bahnhof sind lockeres auslaufen. Nach 57, 23 km und 5:25 Std. Laufzeit bin ich am Ende meiner Reise, aber niemand nimmt auch nur Notiz davon. Das ist mir herzlich egal, um meinen Lauf zu würdigen, ist mir das so am liebsten.

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