Lauftagebuch

Das Frühjahr ohne Wettkämpfe

Gerade folgt Absage auf Absage und wir müssen froh sein, überhaupt noch laufen gehen zu dürfen. Derzeit ist davon auszugehen, dass keiner der für das Frühjahr geplanten Wettkämpfe stattfinden wird. Das ist für uns Läufer zwar ärgerlich, aber nur eine Fußnote, wenn es darum geht, die Gesundheit von Risikogruppen zu schützen und Krankenhäuser zu entlasten. An dieser Stelle stehen wichtigere Dinge an erster Stelle. 

Trotzdem bin ich von der Reaktion der Veranstalter besonders enttäuscht. Sowohl die Organisatoren des Lissabon Halbmarathons als auch von Prag haben auf Nachfrage deutlich gemacht, wie sie zum Thema Startgeld stehen. Flexibilität oder Kulanz? Fehlanzeige. 

Statt abzusagen wird verschoben

Bei allem Verständnis für die Organisatoren, deren Kosten und vor allem die bisher schon geleistete Arbeit, fällt es mir schwer, mich mit der gezeigten Haltung abzufinden. Sicher, die Veranstalter haben die Entscheidung nicht aus freien Stücke getroffen und weisen beide auf die besonderen Umstände hin. Behördliche Anordnungen haben sie gezwungen, die Austragung der Veranstaltungen ausfallen zu lassen, da gab es keinen Spielraum. Natürlich ist das richtig so, weil sich – nach dem, was man liest – nur so die Anzahl der Neuinfektionen im Rahmen halten und ein wirksamer Schutz der Risikogruppen erreichen lässt. Das scheint zwingend einleuchtend. Da sind Marathongroßveranstaltungen ein Luxus, auf den man gut verzichten kann und muss – eine Absage ist deswegen nicht nur richtig, sie ist ohne jede Alternative.

Der Lissabon-Halbmarathon zieht sich zurück auf die besonderen Umstände, die eine Verschiebung unumgänglich gemacht haben und weist gleichzeitig auf das Standardregelwerk hin.

Es geht aber nicht um die Frage, ob eine Laufveranstaltung generell abgesagt werden muss, es ist der Umgang mit der Absage. Oder der Verschiebung. Womit wir bereits beim Problem sind. Bis auf wenige Ausnahmen, bekannt ist mir derzeit z.B. der Marathon in Wien, verschieben die Veranstalter ihren Lauf auf einen späteren Zeitpunkt in diesem Jahr. Was zunächst naheliegend und im Sinne der Teilnehmer scheint, hat gewisse Tücken.

Die Entscheidung baut darauf, dass sich die Situation im Laufe der nächsten Wochen und Monate entschärft, was aber angesichts der augenblicklichen Entwicklung nicht zwingend ist. Zudem sind viele der Termine im Herbst ohnehin schon besetzt. Wenn nun alle Veranstalter zu diesem Mittel greifen, kommt es für Läufer und Läuferinnen unweigerlich zu Terminkollisionen. Und selbst ohne konkurrierende Veranstaltung wird eingedenk beruflicher oder privater Verpflichtungen nicht jedem der neu festgelegte Termin passen. Das dürfte auch den Organisatoren klar sein. Warum setzen sie dann trotzdem auf diese Karte?

Absagen zögen wohl einen Rattenschwanz nach sich

Ein Grund wird sein, dass die Verluste einer Absage so groß wären, dass die Veranstalter vor ernsthafte finanzielle Probleme gestellt werden dürften. Eine Absage würde zudem wesentliche heftiger die Frage aufwerfen, wie mit den Startgeldern für dieses Jahr verfahren wird. Während bei einer Verschiebung nur ein kleinerer Teil der Angemeldeten auf seinem Startgeld sitzenbleibt, wäre bei einer Absage der Shitstorm quasi inklusive. Streng genommen ist zwar selbst der Ausfall einer Veranstaltung – je nach Kleingedrucktem – nicht immer gleich ein Grund für eine Rückerstattung der Startgelder, aber wäre die zu erwartende Welle der Empörung bei einer Absage und Einhaltung der Startgelder eine andere.

Der Hinweis auf die Versicherung wirkt für alle, die die Anmeldung bereits hinter sich haben, wie Hohn

So scheint die Verschiebung das kleinere Übel für die Veranstalter und die Proteste der Wenigen, die den Ausweichtermin nicht wahrnehmen können, lässt sich aushalten. Bei mir, den das mehrfach trifft, hinterlässt die Haltung aber einen faden Beigeschmack. Sich auf die Regularien zurückziehen, die für die Durchführung eines Rennens unter normalen Umständen erlassen wurden, und gleichzeitig auf die besonderen Umstände als Begründung für die Verschiebung zu verweisen, ist eine Art von Doppelmoral, wenn nicht gar zynisch. So wie im Fall des Luxemburg Marathons, der auf die Möglichkeit einer Versicherung hinwies, die man ja hätte abschließen können. Als hätte man die Pandemiewelle voraussehen können.

Ein fehlendes Zeichen des Entgegenkommens

Als Teilnehmer ist man von den gleichen Umständen überrumpelt worden. Man hat mit dem Bezahlen des Startgelds die Durchführung eines Laufs an einem bestimmten Datum gebucht und drumherum meist noch Hotel und Anreise organisiert. Im besten Fall kann man letztere noch stornieren, im schlechtesten Fall bleibt man auf den Kosten sitzen und steht nun vor dem Dilemma, eine erneute Anreise planen zu müssen oder eben das Startgeld vollends abzuschreiben. Friss oder stirb? Natürlich sind das persönliche Probleme, die nur Einzelne betreffen. Das macht es für die Betroffenen aber nicht weniger bitter.

Eine ursprünglich für Prag gemeldete Läuferin, schildert auf Facebook ihr Dilemma

Hätte es wirklich keine Alternative gegeben? Rabattierte Starts fürs kommende Jahr, Freistarts oder eine Teilerstattung? Irgendein Entgegenkommen? Mir persönlich hätte ein kleines Zeichen genügt, denn ich glaube, dass die Situation für die Veranstalter durchaus prekär und schwer kalkulierbar ist. Aber ein Zeichen des guten Willens hätte das komische Gefühl des „Im-Regen-Stehens“ gemildert.

Natürlich ist der Verlust, den man als Läufer durch die Coronapandemie erleidet, nur eine Randnotiz, wenn Menschen um ihr Leben kämpfen und Unternehmen in ihrer Existenz bedroht sind. Da freue ich mich schon, gesund zu sein, laufen zu können und überhaupt noch vor die Tür zu dürfen. In dem Mikrokosmos, in dem man nun einmal lebt, sind die Reaktionen einiger Veranstalter aber auch nicht egal. Sie hinterlassen bei mir den Eindruck, dass der bequemste Weg gewählt wurde.

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