Lauftagebuch

Hamburg ich komme

Hamburg-Marathon! Ich freue mich wie Bolle! Lange bin ich drumherum geschlichen, habe mich immer wieder mit dem Gedanken befasst und doch keine Entscheidung getroffen. Klassischer Fall von Entscheidungsschwäche. Und als ich endlich so weit war, mich ernsthaft damit zu beschäftigen, musste ich feststellen, dass ich nicht bereit war, die inzwischen notwendigen 80 € für einen Startplatz auf den Tisch zu legen. Sage noch mal jemand, Laufen sei ein billiges Hobby. Entscheidung vertagt. Denn loslassen wollte ich den Gedanken noch nicht. Irgendwie musste ich doch noch einen Weg finden, einen Startplatz für weniger als die verlangten 80 € zu bekommen. Und ebay sei Dank, sollte ich tatsächlich Glück haben. „Nur“ 50 € wollte dort ein Starter für seinen Platz haben. Zzgl. der geforderten 21 € für die Ummeldung – ein Schnapper sondergleichen. Und das Beste: Für den besten Kumpel habe ich gleich auch noch einen Platz aufgetan.

Statt Hannover, auf das ich beinahe gänzlich verzichtet hätte, wo ich jetzt aber immerhin den Halben laufen werden, soll also der Höhepunkt im kommenden Frühjahr zur Abwechslung mal Hamburg sein. Und zwar die ganzen 42.195 Meter. Warum? Weil die Gelegenheit so günstig ist, wie sie es für lange Zeit nicht sein wird. Einerseits bin ich auf einem guten Niveau, was das Training angeht. Andererseits genieße ich das Privileg einer zweimonatigen Elternzeit, die mich ab Januar von der lästigen Pflicht des Arbeitens entbindet und mir hoffentlich die notwendige Zeit einräumt, meinen Plan anzugehen.

Wo wir allerdings auch schon beim Problem sind oder besser formuliert, bei den Problemen: Das Finden eines geeigneten Trainingsplans und damit einhergehend die Formulierung eines realistischen und gleichzeitig ambitionierten Zieles, das den Aufwand lohnt. Ohne Ziel kein geeigneter Trainingsplan. Deswegen fangen wir zunächst mit dem Ziel an.
Erst heute Früh habe ich auf dem Weg ins Büro gelesen: „Setzen Sie sich Ziele! Konkretisieren Sie, was Sie im neuen Jahr erreichen wollen, bleiben Sie hierbei aber realistisch. Übertreiben Sie es nicht, aber legen Sie die Messlatte auch nicht zu tief. Nichts ist schlimmer, als am zu hoch angesetzten Ziel zu zerbrechen. Ein zu niedrig gesetztes Ziel bringt jedoch nicht das gewollte und unbeschreibliche Hochgefühl des Glücks! Formulieren Sie Ihr konkretes Ziel und fixieren Sie es schriftlich – am besten dort, wo Sie es jeden Tag sehen können. Schieben Sie nichts auf und starten Sie am besten noch heute.“ (Quelle: aktivLaufen, 01/2018, S. 20)

Meldebestätigung Haspa Hamburg Marathon 2018
Meldebestätigung Haspa Hamburg Marathon 2018

Arbeiten wir den letzten Punkt zuerst ab: Wenn ich das Ziel hier formuliere, wo nicht nur ich es jeden Tag lesen kann, sondern auch jeder, der sich hierher verirrt, dann erfülle ich zumindest schon diesen Teil der Ansage, packe aber gleich noch etwas sozialen Druck oben drauf, falls dann doch jemand liest, was ich hier schreibe und mich später bei einem möglichen Scheitern darauf anspricht.

Die weitaus schwieriger zu beantwortende Frage ist, welches Ziel ich konkret formulieren soll, wenn ich nicht zu hoch pokern will, mich aber auch nicht selbst schlechter machen möchte als ich es sein könnte. Eine Gretchenfrage. Da ich mir keine aufwendige Trainingsberatung durch einen persönlichen Trainer leisten möchte, bleibt mir nichts übrig als die Frage selbst zu beantworten. Welche Ansätze gibt es also?

Die Schallmauer-Methode

Gut fassbar und motivierend sind bestimmte Grenzen, die man unterbieten will. Glatte Zielzeiten, die gemeinhin als Meilensteine gelten. Üblicherweise werden die Zielzeiten dazu in 15-Minuten-Schritten unterteilt, also z.B. 4 Std., 3:45 Std. oder 3:30 Std. Für mich galten lange Zeit die Marken von 1:30 Std. auf der Halbmarathonstrecke und 3:30 Std. über die volle Distanz als entsprechende Ziele. Der Vorteil an diesen Zielen ist, dass sie so einfach zu formulieren sind. Nachteil: Sie berücksichtigen nicht die tatsächliche Leistungsfähigkeit und man läuft Gefahr das Ziel zu niedrig oder zu hoch zu stecken.

Die Zielzeit-Rechner

Im Gegensatz dazu berücksichtigen diverse Rechner im Internet das aktuelle Leistungsvermögen. Ausnahmslos werden dazu Referenzdaten für die Ermittlung einer möglichen Zielzeit herangezogen. Hierzu zählt ein möglichst aktueller Wettkampf über eine genormte Strecke und Pulswerte, manchmal auch Erfahrung, Alter und andere Faktoren. Anhand der eingegebenen Zielzeiten wird durch interne Algorithmen ermittelt, was bei einer optimalen Vorbereitung möglich sein könnte. Vorteil bei dieser Methode ist der Rückgriff auf echte Leistungsdaten und eine wie auch immer geartete Berechnung, in der hoffentlich ein gerüttelt Maß an Erfahrung und Wissenschaft steckt und nicht allzu viel Voodoo.

Die Rechner bergen weniger die Gefahr, ein unambitioniertes Ziel vorzugeben als das Gegenteil. Als Beispiel hier das Ergebnis von Runner‘ World, das nach Eingabe meiner Parameter eine Zielzeit von knapp unter 3 Stunden errechnete. Auch andere Rechner hatte mir gute Zielzeiten versprochen, die alle unter meiner persönlichen Bestzeit und gleichfalls unter der Marke von 3:15 Std. lagen. Aber allein der Vergleich zwischen drei Rechnern zeigte eine Bandbreite von rund acht Minuten und offenbart, mit wie viel Vorsicht eine solche Prognose genossen werden sollte. Sie können aber dennoch als eine Art Kontrollinstrument dienen, ob man nicht zu optimistisch plant.

Meine Uhr möchte auch noch ihren Senf dazu geben: Sie prognostiziert aktuell eine Zeit von 3:11 Std. Und dabei kennt sie mich besser als die Rechner im Internet es tun. Kennt sie doch meine maximale Sauerstoffaufnahme, mein Schlafverhalten und meine Pulsbereiche. Sie überwacht mich fast ununterbrochen. Natürlich sind alle Werte nicht mit solchen zu vergleichen, die im Labor unter standardisierten Bedingungen genommen worden, aber besser als nichts allemal.

Wie nähere ich mich nun also meinem Ziel? Da ich ein zur Vorsicht neigender Mensch bin, gehe ich grundsätzlich defensiv daran mir Zielevorgaben zu setzen. Nichts demotiviert mehr als nach drei, vier Monaten harten Trainings ein Ziel zu verfehlen. Peter Greif empfiehlt in seinem Trainingsplan, dass man sich drei Ziele steckt. Mit einem Plan B in der Tasche, hat man so immer noch ein Ausweichsziel vor Augen, wenn am Tag der Tage das Primärziel nicht erreicht werden kann. Gleiches tut auch Haruki Murakami in seinem Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede„. Er steckt sich für seinen ersten Marathon nach langer Pause ganz simple Ziele: Ankommen, genießen, nicht gehen, egal wie langsam das Tempo auch sein wird.

Gerade das Prinzip mehrere Ziele in einer Art Rangordnung festzulegen gefällt mir, da es die Gefahr der Enttäuschung reduziert, wenn auch nicht bannt. Und doch entbindet es mich nicht von der Pflicht, mir ein oberstes Ziel zu stecken, das ich mit aller Macht verfolgen werde.

Die nachrangigen Ziele sind einfach und mir schon klar, seit ich mich dazu entschlossen habe, den Marathon zu laufen. Das Minimalziel ist, dass ich meine eigene Bestzeit von 3:27 Std. unterbiete und dicht damit verbunden möchte ich auch die Bestzeit meines besten Freundes unterbieten, die seit 2007 besteht. Schließlich sind das aber beides Ziele, die mehr als fünfzehn Minuten hinter den berechneten Zielzeiten liegen. Es muss also etwas Angemesseneres als Ziel herhalten. Hierzu entscheide ich mich defensiv für die gute alte 3:15 Std.-Schallmauer. Nicht aus falscher Bescheidenheit, sondern weil ich mich gut einschätzen kann. Und weil ich weiß, wie es mir bei den letzten Marathons ergangen ist. Im Wortsinn: Ergangen. Nicht einen der vier Marathons habe ich ohne Gehpausen beendet. Auch das muss ein Ende haben.

Damit stehen meine Ziele für den Marathon in Hamburg fest:

  1. Drei Stunden und fünfzehn Minuten!
  2. Die 3:26 Std. von Nils müssen unterboten werden!
  3. Die bisherige Bestzeit von 3:27:25 Std. muss fallen!
  4. Egal wie hart es wird, ich werde nicht gehen!

Und sollten die Rechner mit dem schlummernden Potenzial recht haben, der nächste Lauf kommt bestimmt.

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