Schneeregen vor dem 10. Fishermanstrail
Schneeregen vor dem 10. Fishermanstrail

Schneeregen peitscht ans Fenster, als ich die Vorhänge im Hotel zur Seite schiebe. Meine Lust am Laufen nimmt rapide ab. Dahinter steckt zum Teil auch der Wunsch, der jedes mal in mir hochkommt, wenn ein harter Lauf bevorsteht. Ich möchte dem Wettkampf mit mir selbst entrinnen, mich nicht der Herausforderung stellen müssen. Zumindest ein Teil von mir, der böse Engel auf der Schulter sozusagen. Gut, dass es noch einen anderen Teil von mir gibt, der dagegenhält. Kneifen gilt nicht. Dreieinhalb Stunden bin ich gestern mit dem Auto nach Alt Schwerin gefahren, um an der Jubiläumsauflage des Fishermanstrail teilzunehmen. Allein der Aufwand der Anreise und die Nacht im Hotel würden einen Verzicht auf den Start ad absurdum führen. Wie sollte ich das vor mir selbst rechtfertigen? Oder vor meiner Familie?

Das hätte ich wissen müssen! Der Südschnellweg ist an diesem Sonntagmorgen gesperrt. Ich bin eh schon eine halbe Stunde später dran als geplant, weil ich den Wecker abgedrückt habe und noch eine Weile im Bett geblieben bin. So kommt es, dass ich erst um kurz vor sieben Uhr in Springe ankomme und mich auf den Weg mache. Mein Weg soll mich – grob umrissen – zuerst nach Bad Münder führen, von dort dem E1 folgend über Hameln nach Aerzen und dann freestyle – also abseits des E1 – nach Bad Pyrmont.

Als ich mich auf einen Stuhl am zweiten Verpflegungspunkt setze, wühle ich nur noch pro Forma in meinem Dropbag. Die Zweifel in mir sind nach den ersten harten 32 km schon so groß, dass nur noch ein Rest Hoffnung auf ein Finnish beim 7. SuMeMa in mir glimmt. SuMeMa ist ein Akronym für Südkreis Meilenmarathon. Es handelt sich also um einen Ultralauf über 42,195 Meilen, die im südlichen Landkreis von Hildesheim zu bewältigen sind. Das bedeutet auch, dass ich noch fast 40 Kilometer vor der Brust habe. Rosige Aussichten.

7. SuMeMa 2023 - VP 2
Die Auswahl an Erfrischungen am 2. VP ist groß

Ich mache gute Mine zur schlechten inneren Stimmung und scherze mit den Helfern, schieße ein Bild vom unfassbar guten Büffet, das zum verweilen einlädt. Ich trinke meine Dose Cola, das mitgebrachte Marmeladenbrot lasse ich im Beutel, ich habe schon jetzt Probleme mit dem Essen. Auch die meisten Gummis und Gels lasse ich, wo sie sind. Ich schreibe schnell eine Nachricht nach Hause: „Ist richtig hart. Bin am zweiten VP bei 32 km. Es geht nur hoch und runter.“ Es ist die Kurzfassung davon, dass ich von der Art dieses Ultralaufs in vielerlei Hinsicht überrascht worden bin.

Draußen hängt noch der Nebel in den Tälern, Kühe grasen auf den Weiden. Der Läufer vor mir erklärt seiner Sitznachbarin, wo uns der Lauf später entlangführen wird. Dass es Jörn ist, der den Lauf in den letzten Jahren gleich mehrmals gewonnen hat, weiß ich jetzt noch nicht. Offenkundig ist, dass er den Lauf schon mehrmals hinter sich gebracht hat. Kein Newbie also. Ich bin nervös wegen der vor mir liegenden Aufgabe, den Solling von Bad Karlshafen im Süden nach Dassel auf der Nordseite des Höhenzuges zu überqueren, in toto 48 km mit ungefähr 1000 Höhenmetern.

„Der Brocken-Marathon ist ein Wettkampf mit ganz besonderen Anforderungen. Über 1000 Höhenmeter machen diesen Marathon zu einem der schwierigsten Ausdauerläufe Deutschlands. Nur sehr gut trainierte Läuferinnen und Läufer sollten diese Herausforderung riskieren.“ Mit meinem leichten Hang zum Masochismus zog mich die Beschreibung des Veranstalters schon seit einigen Jahren an. Doch entschied ich mich in den zurückliegenden Jahren regelmäßig für einen der klassischen Straßenmarathons im Herbst mit dem Ziel, dort meine persönliche Bestzeit zu verbessern und so passte der Lauf einfach nicht in meinen Kalender. Und so wäre es auch in diesem Jahr gekommen. Erst als ich den schon geplanten Bremen-Marathon kurzfristig wegen beruflicher Verpflichtungen hatte sausen lassen müssen, war endlich der Zeitpunkt für eine Teilnahme gekommen.

Mein Weg führt mich nach Freden an der Leine. Es soll der erste Versuch eines langen Laufs, seit meiner COVID-Erkrankung im Juni werden. Der Einstieg nach dreieinhalb Wochen ohne jede sportliche Aktivität war schmerzhaft und hat mir nur allzu deutlich vor Augen geführt, dass in den drei Wochen einiges an Form auf der Strecke geblieben ist. Nach den ersten 15-km-Läufen musste ich die Treppen herab stolpern wie nach einem Marathon. Wie schnell meine Form flöten gegangen war, war für mich hart zu akzeptieren. Die Auswirkungen der Krankheit hatten den sonst schon schnell voranschreitenden Formverlust sicherlich beschleunigt und die Hitze machte den Wiedereinstieg obendrein schwer. Legt man die Faustregel zugrunde, nach der man die doppelte Zeit der Pause benötigt, um sich wieder auf ein ähnliches Leistungsniveau zu hieven wie vor dem Ausfall, würde ich immer noch rund einen Monat benötigen, um meine Leistungsfähigkeit wieder zu erlangen. Und die war da schon nicht mehr optimal.