Wettkampfberichte

Schmerzende Füße, eine nervende Trinkblase und ein Wettlauf gegen einen Traktor – Der Wings for Life App Run

Mit der Wahl meiner Schuhe habe ich heute genauso wenig Glück wie in der Vorwoche, das wird mir nach etwa 20 km mit jedem Meter klarer. Der Schmerz ist nicht so, dass man ihn nicht aushalten könnte, aber doch so stark, dass er zusammen mit der einsetzenden Ermüdung ein echtes Problem geworden ist. Der Schmerz ist nicht aus dem Nichts gekommen, er hat langsam zugenommen. Besonders die Landung auf dem rechten Huf ist unangenehm. Ich überschlage, wie lange ich das noch aushalten muss, bis ich aus den Schuhen komme. Eine Stunde? Müsste hinkommen – je nachdem, wie schnell ich jetzt noch laufe.

Hinter mir liegen schon 22 km, die wie im Flug vergangen sind und erst seit fünf Kilometern fällt es mir schwerer, mein angestrebtes Tempo zu laufen. Nach einigen weniger schnellen Kilometern, die auch mit einer kleinen Steigung im Gelände zusammenhingen, lief es zuletzt wieder etwas besser. In Neuwarmbüchen, einem Örtchen in der Nähe meines Wohnortes, hatte ich mir ein kleines Rennen mit einem Traktor geliefert. Kurzzeitig war es mir gelungen, an dem riesigen Fahrzeug vorbeizulaufen, weil zwei Kinder auf einem Fahrrad es zum Bremsen zwangen, dann aber machte der Fahrer ernst und ließ mich auf dem Feldweg hinter sich. Ein kleiner Vorgeschmack auf das Catcher Car, das mich seit fast einer Stunde verfolgt.

Die virtuelle Jagd

Das Catcher Car ist mir nur virtuell auf den Fersen, was anderes lässt die Weltlage derzeit nicht zu. Dennoch ist es durchaus ein spaßiger Wettlauf, in das mich die App auf meinem iPhone versetzt. Der Ausgang des Rennens ist klar: Irgendwann wird mich das Auto einholen, nur der Zeitpunkt des Zusammentreffens lässt sich hinauszögern, je nachdem wie schnell ich laufe. Mein Ziel für heute sind mehr als 30,2 km. Das ist die Bestmarke, die ich bei meiner einzigen – ebenfalls virtuellen – Teilnahme am Wings for Life World Run aufgestellt habe.

Aber: Eigentlich sind 31 km das Minimum, das ich mir vorgenommen habe, 35 km das Optimum. Ersteres sollte gut schaffbar sein, schließlich bin ich wesentlich besser in Form als vor drei Jahren. Andererseits liegt der #stayathomemarathon erst eine Woche zurück, das ist wenig Zeit für eine angemessen Regeneration. Eine Distanz von 35 km setzt eine Pace von 4:40 min pro Kilometer voraus.

Schön wäre, wenn ich heute meine Bestleistung über 30 km verbessern könnte. Nur wo liegt die eigentlich, frage ich mich während ich durch die Landschaft eile? Aufgestellt haben müsste ich sie beim Gutenberg Marathon in Mainz, aber ich habe keinen Schimmer, in welcher Zeit. Das auszurechnen bekomme ich jetzt nicht hin. Später werde ich nachforschen, die Zeit liegt bei 2:13:31 Std. und – kleiner Spoiler – ich werde heute nicht in die Nähe dieser Leistung kommen. Stichwort: Füße.

Der Geist ist willig, die Füße nicht

Da war ja was, meine Füße nerven. Die App überschüttet mich mit gutgemeinten Lobpreisungen. Selbst jetzt, wo ich nicht mehr so schnell laufen kann, wie ich gerne würde. Mir ist durchaus bewusst, dass jeder Läufer die gleichen Ansagen bekommt und doch sind selbst diese allgemeinen Anfeuerungen eine kleine Motivation. Witziger finde ich aber die Meldungen des Catcher Cars. Es ist ein bisschen wie „guter Buller, böser Bulle“. Für einen vollen Kilometer gibt es ein überschwängliches Lob („Dein zukünftiger Nationaltrainer hat uns angerufen!“), meldet sich das Catcher Car, hat es immer einen drohenden Unterton.

Fast exakt zu dem Zeitpunkt, als ich den siebten Kilometer hinter mich gebracht hatte, kam die Meldung, dass das Catcher Car sich auf den Weg gemacht hätte. Und sofort danach die Meldung, der erste Teilnehmer sei eingeholt worden. Jemand, der gar nicht losgelaufen ist und trotzdem die App gestartet hat? Das Rennen hat also richtig begonnen. Darauf einen Schluck aus dem Rucksack. Wie blöd saugte ich an dem Mundstück des Schlauchs, aber es kamen nur ein paar Tröpfchen. Das Herumfummeln am Schlauch und der Blase auf dem Rücken half auch nicht und bei dem flotten Lauftempo war das koordinativ nicht einfach. Auch fürs Atmen war das ständige, vergebliche Saugen nicht hilfreich. Also gab ich es entnervt auf und nahm meine kleine Ersatzflasche.

Ich hoffte auf weitere Live-Meldungen, weil es das Gefühl, gleichzeitig mit einer Menge Läufer und Läuferinnen unterwegs zu sein, steigern würde. Es folgten aber nur allgemeine Drohungen. Ich solle mich nicht zu sicher fühlen, irgendwann wäre ich auch dran. Das wusste ich natürlich, nur waren mir die Spielregeln nicht mehr so ganz vertraut. Aus der ersten Meldung konnte ich ableiten, dass das Auto seine Verfolgung nach 30 Minuten aufgenommen haben musste und aus den weiteren Mittelungen reimte ich mir zusammen, dass das Catcher Car alle 30 Minuten ein km/h zulegt. Anfangs war mir nicht klar, mit welcher Gewschwindigkeit das Auto unterwegs war, erst später wurde auch die Geschwindigkeit genannt.

Nun, wo es mir nicht mehr so gut geht, dass ich meine Wunschgeschwindigkeit laufen kann, fährt es bereits 16 km/h. Das ist außerhalb des Tempobereichs, den ich für längere Zeit laufen kann. Ich könnte mich jetzt so sehr reinhauen wie ich wollte, der Vorsprung würde sukzessive abnehmen. Selbst die Startgeschwindigkeit von 14 km/h ist schon so hoch, dass sie meine heutige Renngeschwindigkeit übersteigt. Die liegt irgendwo zwischen 12 und 13 km/h. Aber welcher Läufer rechnet schon in km/h?

Das Catcher Car wird schneller – ich langsamer

Zurück zum Lauf. Ich werde definitiv langsamer und zwar erheblich. Ich bin 20 Sekunden langsamer pro Kilometer als geplant. Plus/minus ein paar Sekunden. Nicht allein die Füße sind daran schuld. Ich baue definitiv ab, das lässt sich nicht leugnen. Immerhin kam der Punkt später als letzte Woche, aber immer noch zu früh für mein Empfinden. Diese Feststellung leitet mich zu der Frage, ob meine Form gerade besser wird, die Trainingsumstellung also anschlägt oder ich stagniere. Einerseits bin ich von meiner Bestform aktuell noch entfernt, andererseits war der Marathon letzte Woche der erste, der den Negativtrend, der nach meiner Bestzeit eingesetzt hat, gestoppt hat. Ich muss mir wohl noch Zeit geben.

Die immer stärker werdende Erschöpfung lässt mich solcherlei Gedanken verdrängen. Es genügt schon, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich bin in einer Zwickmühle: Einerseits möchte ich möglichst lange laufen, andererseits möchte ich, dass das Rennen besser früher als später vorbei ist. Das ist ein ständiger Widerstreit in meinem Kopf. Ich trete auf einen Stein und mir schießt jäh eine Welle des Schmerzes durch den Fuß. Meine Füße sind extrem empfindlich geworden auf den fünf Kilometern, die ich nun schon wieder bewältigt habe. Drei Kilometer und ein bisschen noch, dann habe ich mich wenigstens verbessert.

Als es eine Brücke hinab geht, versuche ich den Schritt wieder zu verlängern und schneller zu laufen, denn die letzten beiden Kilometer waren noch langsamer als zuvor. Einfach ist das nicht, aber für einen Kilometer werde ich schneller. Danach falle ich wieder zurück auf das Ausgangstempo. Kurz bevor ich 30 Kilometer gelaufen bin, meldet sich mein Freund, das Catcher Car: „Die Staubwolke am Horizont – bist du das?“.

Der letzte Akt

War das jetzt eine allgemeine Ansage? Bestimmt. So nah kann das doch noch nicht sein. Ich bin trotzdem einigermaßen alarmiert. Mehr schlecht als recht bringe ich die Kilometer 30 und 31 hinter mich, das Minimalziel habe ich erreicht. Kurz balle ich die Faust. Der folgende Kilometer ist hart, weil ich kurz bergauf laufen muss, aber immerhin ist es schön hier zwischen den Feldern. Ich bin meinem Zuhause inzwischen wieder so nah gekommen, dass ich über den weiteren Streckenverlauf nachdenke, da reißt mich das Catcher Car aus meinen Überlegungen. Und aus meinen Träumen von 35 km.

Es ist noch 500 m hinter mir. Leichte Panik setzt ein. Ich habe gerade mal 32,7 km geschafft. Noch bin ich nicht fertig. Schneller ihr müden Beine! Wenigstens 33 km will ich noch schaffen. Wie viele Meter kann das Catcher Car gutmachen auf 300 Metern? Ich schaffe die 33 km voll zu machen und laufe weiter so schnell mich meine Beine tragen.

„Noch 250 Meter“, meldet sich mein Verfolger. Fuck! Den nächsten Kilometer werde ich nicht mehr schaffen. Eine kleine Unterführung führt mich zunächst kurz bergab – Yeah! -, dann etwas länger wieder bergauf. Das schafft mich, aber ich bin jetzt ohnehin fast eingeholt. Ein paar Meter noch, dann meldet sich die App erneut. Es ist Schluss, das Catcher Car hat mich eingeholt. 33,65 km ist die offizielle Distanz, die über die App aufgezeichnet wurde, 10 Meter mehr hat meine Garmin. Damit bin ich zufrieden und würde mir gerne einen Schluck aus meinem min. halbvollen Rucksack erlauben, nur will der noch immer nicht seinen Inhalt hergeben. Dann eben nicht! Bis zuhause sind es nur noch ein paarhundert Meter, die ich gemütlich gehe. Danach gönne ich mir auf das gute Ergebnis auf der Terrasse ein alkoholfreies Bier und meinen Beinen ein paar Tage Ruhe.

Der Lauf im Überblick

Distanz21,1 km
Zeit1:27:22 Std.
Platzierung16. von 612 Teilnehmern
AK-Platzierung6. von 50 (M35)
StreckeFür den Halbmarathon galt es den Kurs zwei Mal zu durchlaufen. Die Strecke verläuft entlang der Förde und ist nicht für den Fuß- und Radverkehr gesperrt.
Verlaufen ist unmöglich. Schilder kennzeichnen jeden Kilometer.
BesonderheitenAusgabe der Startunterlagen ist am Kreuzfahrtterminal.
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