Lauftagebuch

Geburtstagsmarathon – Happy Birthday, happy Running

Als ich im letzten Jahr 40 Jahre alt geworden bin, dachte ich mir, dass ich mal etwas Verrücktes in Sachen Laufen machen müsste. 40 km am Stück wollte ich laufen, passend zu meinem runden Geburtstag. Als sich nun mein 41. Geburtstag anbahnte, keimte in mir die Gedanke, den Lauf in diesem Jahr zu wiederholen. Nur eben einen Kilometer hinten dran zu hängen. Ich schob den Gedanken für eine Weile beiseite und zog nicht ernsthaft in Erwägung, ihn in die Tat umzusetzen.

Da hatte ich die Rechnung ohne meine Frau gemacht. Letzte Woche konfrontierte sie mich aus dem nichts mit dem Satz: „Karsten, du hast nächste Woche Geburtstag. Dir ist klar, dass du dann 41 km laufen musst, oder?“. Verdammt, damit hatte ich nicht gerechnet. Warum nur ist meine Frau immer so zuversichtlich und traut mir so etwas zu?

Der Respekt vor der 42

Ich selbst hatte mich vor einer ernstlichen Auseinandersetzung mit dem Thema gedrückt. Weil ich im Allgemeinen einen Heidenrespekt vor den ganz langen Läufen habe. Das hängt mit den vielen schlechten Erfahrungen zusammen, die ich seit meinem Marathondebüt 2007 gemacht habe. Viele harte Einbrüche haben mir im Laufe der Jahre gewissermaßen Furcht vor der Strecke eingeimpft. Erschwerend kam der Trainingsrückstand hinzu, den ich seit meiner Rippenserienfraktur im Oktober hatte. Seit Juni 2020 hatte ich genau einen (!) Lauf über 30 km absolviert. Und zwar exakt drei Tage vor meinem Geburtstag. 31 km war ich ohne große Probleme gelaufen und damit überglücklich. Aber 41 km? Das war noch mal ein anderer Schnack.

Raus kam ich aus der Nummer nun nicht mehr. Inzwischen hatte meine Frau auch den Kindern erzählt, ich würde am Dienstagmorgen einige Stunden unterwegs sein, um 41 km zu laufen. Wie Kinder so sind, fanden die das wenig spektakulär und nahmen es zur Kenntnis, ohne überhaupt in Betracht zu ziehen, dass das in die Hose gehen könnte. Mein sechsjähriger Sohn stellte beim Zubettgehen lapidar fest, dass ich morgen also 41 km laufen würde, wie lange ich dafür so bräuchte, drei oder vier Stunden? Ja, vier Stunden, das dürfte hinkommen. Mein Tochter wusste zu berichten, dass ich dafür im Rennen weniger bräuchte, drei Stunden und ein bisschen. Anscheinend sind die Nachwuchsläufer gut informiert. Dem Filius drückte ich mit einem etwas mulmigen Gefühl noch einen Kuss auf die Locken und sagte bedeutungsvoll, das man bei solch langen Läufen nie genau wisse, ob man es überhaupt schafft, da könne viel dazwischenkommen.

Ich schlief mittelmäßig. Morgen sollte und wollte ich im Prinzip einen Marathon laufen. Fühlte ich mich dafür gewappnet? Nein, ganz bestimmt nicht. Daran änderte der gute 31-km-Lauf am Wochenende auch nichts.

Los geht es in der Dunkelheit

Auf geht's, Zeit zum Loslaufen
Auf geht’s, Zeit zum Loslaufen

Um 5:30 Uhr klingelte der Wecker, aber ich war eh schon längere Zeit unruhig. Trotzdem brauchte ich noch ein paar Minuten, bis ich wirklich aufstand. Kaffee, Wasser, Sachen packen, dann ging es um kurz nach 6 Uhr morgens los. Die Aussichten waren bescheiden. Noch fast zweieinhalb Stunden bis zum Sonnenaufgang und fast 100 % Regenwahrscheinlichkeit für die nächsten vier Stunden. Gut, dass ich die Regensachen rausgelegt hatte.

Die Strecke hatte ich mir bereits am Vortag zurechtgelegt und auf die Uhr geladen. Für die ersten Kilometer hätte ich die Navigationshilfe zwar nicht gebraucht, aber nach einer gewissen Dauer würde ich die bekannten Wege verlassen. Ich startete in einem Schnitt um 5:40 min/km. Nicht zu schnell, aber gemessen an meinen Trainingsbereichen meilenweit entfernt von meinem GA1-Bereich. Allerdings lag meine letzte Leistungsdiagnostik nun schon so lange zurück, dass ich mich an die Vorgaben seit meiner Verletzung nicht mehr gehalten hatte. Außerdem war das heute nicht primär ein Trainingslauf. Es war ein Gag.

Ich hatte mir ein paar Podcastfolgen herausgesucht, um mir die Zeit zu vertreiben. In völliger Dunkelheit stundenlang zu laufen, kann einigermaßen monoton werden. Da gibt es im Schein der Stirnlampe wenig zu sehen, das ablenkt. Ich ließ mich also berieseln und trabte einigermaßen entspannt durch die Nacht. Nach ungefähr einer Stunde fing meine Stirnlampe kurz an zu flackern. Na toll, die Sonne würde frühestens in einer Stunde aufgehen und gleich würde es in den Wald gehen, dann ins Trunnenmoor, ausgerechnet ein Teil der Strecke, den ich nicht kannte.

Durch Dauerregen ins Morgengrauen

Weiter ging es im seichten Dauerregen. Durchhalten, Stirnlampe! Durchhalten, Karsten! Das Flackern wiederholte sich noch einmal, ansonsten leuchtete die Lampe auch Stunden später noch zuverlässig. Wichtig war mir, im Wald nicht ohne Licht dazustehen. Mich beschlich auch so schon ein leicht mulmiges Gefühl, das ohne die Funzel an der Mütze nicht besser geworden wäre. Immerhin gab es sonst keine Probleme. Ich lief ziemlich problemlos seit fast eineinhalb Stunden. Die kritische Phase, das wusste ich, würde aber noch kommen. So richtig haarig wird es bei mir meist erst jenseits der 25-km-Marke. Davon war ich zu diesem Zeitpunkt aber noch 10 km entfernt.

Das Laufen machte mir nun, da ich aus dem Wald heraus war, wieder richtig Spaß. Ein Grund dafür: Der Morgen dämmerte, ein beflügelndes Gefühl. Von hier an lief ich ohne Ortskenntnis, die Route auf meiner Uhr leitete mich. Auf unbekannten Wegen zu laufen, lässt mich den Vorgang des Laufens als leichter empfinden. Zumindest dann, wenn es mir körperlich und mental gut geht.

Die Welt erwacht

Wie eigentlich immer, vermied ich strikt den Blick auf die Uhr, außer, wenn es um die Navigation ging. Ich wollte nicht wissen, wie weit ich schon gelaufen war. Oder: Nicht wissen, wie weit es noch war. Trotzdem gab es natürlich Anhaltspunkte. Das Tageslicht bedeutete, dass der Sonnenaufgang unmittelbar bevorstand oder bereits hinter mir lag. Ich war also in etwa 2,5 Stunden unterwegs. Die Sonne ging heute ungefähr um 8:30 Uhr auf, losgelaufen war ich bereits um 6 Uhr. Das machte bei einer pessimistisch geschätzten Pace von sechs Minuten pro Kilometer 25 km! Ok, das war doch schon mal was. Dir kritische Phase hatte begonnen.

Fotostopp in einer Ölspur
Fotostopp in einer Ölspur

Ich hatte jetzt wenigstens wieder eine Ahnung davon, wo ich mich befand. Trotz des grauen Morgens und des Dauerregens war es schön, der Welt beim Erwachen zuzusehen. Ich war aufgebrochen, als Viele noch schliefen, jetzt fuhren die Leute zur Arbeit, gingen zum Bäcker oder mit ihren Hunden Gassi.

Nach einem kurzen Fotostopp in einer Ölspur, die wie ein Regenbogen schillerte, verlief ich mich kurz, wurde aber dank der Route auf der Uhr schnell darauf aufmerksam. Wenn du 41 km laufen willst, kannst du keine Umwege gebrauchen. Ich nahm kurzentschlossen einen reichlich matschigen Feldweg, der ungefähr in die eigentlich vorgesehene Richtung führte und hatte Glück. Nach wenigen hundert Metern war ich wieder auf der geplanten Route.

Ein Plan reift

Noch immer ging es mir verhältnismäßig gut. Frisch wäre übertrieben, aber so gut man sich eben mit mehr als 30 km in den Beinen fühlen kann. Im Kopf konnte ich schon den Rest der Strecke durchgehen und es war ein gutes Zeichen, dass mir die vor mir liegende Strecke keine Angst machte. Das hatte ich schon ganz anders erlebt, wenn ich körperlich schon zu sehr abgebaut hatte und die restliche Strecke unmöglich zu schaffen schien.

Das war heute anders. Ein gutes Zeichen. Ich spielte Hinhaltespielchen mit mir und schob den nächsten Schluck aus der Flasche bis zu vorher in meinem Kopf festgelegten Punkten auf. So schmolz der Rest der Strecke schneller zusammen. Noch immer wartete ich auf das böse Ende, den so oft erlittenen Einbruch. Aber er blieb aus. Immer näher kam ich meinem Ausgangspunkt und war mir inzwischen sicher, diesen Lauf gut zu Ende zu bringen.

Längst war in meinem Kopf ein Plan gereift. Nicht erst während des Laufs, der Gedanke hatte schon vorher Gestalt angenommen. Ich wollte aber zunächst abwarten, wie es im wahrsten Sinne des Wortes lief. Ich hatte heute Früh noch nicht einmal geglaubt, 41 km laufen zu können. Nicht derzeit, nicht nach meiner Zwangspause. Doch jetzt, wo es so gut lief, schien es mir geradezu unsinnig, nicht gleich die volle Marathondistanz zu laufen. Meine zurechtgelegte Route war ohnehin etwas über 41 km lang, dazu kam der kleine Umweg und der ein oder andere Extrameter, den man während eines Laufes von dieser Länge eben so sammelt. Da käme ich eh schon auf fast 42 km.

Mit dem Marathon selbst beschenkt

Gedacht, gemacht. 100 Meter von Zuhause entfernt, bog ich an der letzten Kreuzung noch einmal ab. Weder für den Kopf, noch für die Beine eine einfache Geschichte. Der Wunsch stehenzubleiben war – gute Verfassung hin oder her – jetzt einfach groß, sehr groß. Aber die letzten 700 Meter würde ich auch noch voll machen, das wäre ja gelacht.

Und dann war es vorbei. Sicherheitshalber war ich noch einige Meter mehr gelaufen. Wenn schon, denn schon. Keine Musik, keine Zuschauer, kein Jubel, kein gar nichts. Es war der umspektakulärste Zieleinlauf, den man sich für einen Marathon nur denken kann. Aber das brauchte ich gar nicht, um glücklich zu sein. Die Tatsache, heute spontan einen Marathon gelaufen zu sein, den zweiten in meinem Leben, der nicht von Gehpausen unterbrochen war und der bestimmt entspannteste, den ich je gelaufen war, genügte mir. Und hey, so ganz nebenbei war das sogar der 10. Marathon, den ich in meinem Leben gelaufen bin. Happy Birthday.

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