Wettkampfberichte

Die „Hölle“ ist ein 1.000 Meter langer Anstieg – 7. Elm-Advents-Halbmarathon

Am Ende sah das Erinnerungsstück, das ich gut eine Stunde zuvor für die erfolgreiche Teilnahme am 7. Elm-Adventshalbmartahon erhalten hatte, so aus wie ich mich fühlte: Kaputt. Kind Nr. 4 hatte das eben noch intakte Teil mithilfe seines Schleichtieres in den gleichen Zustand versetz wie seinen Vater. „Papa, kaputt.“ – kann man so stehenlassen. Schuld daran waren die „Hölle“ und ihre kleinen Verwandten.

Einmal fast Kipchoge sein

Schon der erste Anstieg hat Einschüchterungspotenzial, ist mir aber noch gut in Erinnerung wegen des Schocks, den er mir damals versetzt hatte: „Soll das so weitergehen die nächsten 90 Mintuten?“, schoss es mir damals durch den Kopf. Diesmal weiß ich, es sind „nur“ zwei Kilometer, bis ich verschnaufen kann, dann geht es – mit einem kurzen Zwischenanstieg – zum tiefsten Punkt der Strecke hinab. Aber was heißt hier verschnaufen? Weil die Wege gut beschaffen und nicht allzu rutschig sind, laden diese Bergabpassage zum schnellen Rennen ein. Meine Beine fliegen und ich sehe ungläubig auf der Uhr, dass ich 3:20 min/km und schneller laufe. Ich mache fast den Kipchoge! Auf der anderen Seite: Kaum zu glauben, dass ich trotz des Gefälles noch immer langsamer bin. Ich fühle mich schon so, als würde ich fliegen.

Eine Haarnadelkurve beendet den Rausch jäh, nach der Kurve geht es wieder bergauf. Das nervt. Ich war doch gerade so schön schnell. Trotzdem mache ich mich einigermaßen beschwingt daran, den kurzen Anstieg zu bezwingen. So kurz ist er gar nicht, dämmert es mir nach Minuten. Er zieht sich Meter um Meter, mal steiler, mal flacher, aber immer hinauf. Ich habe ordentlich zu tun mit der Steigung und merke, wie die Anfangseuphorie aus meinen Beinen weicht. Mehrmals werde ich überholt, aber ich bleibe einigermaßen im Rhythmus.

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Erinnerungslücken

Als ich bereits denke, diese Steigung hinter mir zu haben, stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass ich nur ein kleines Plataeu erreicht habe, die Strecke führt nach einer Rechtskurve weiter bergauf. Kilometerweit inzwischen. In jeder Kurve kann ich einen Blick zurückwerfen und muss feststellen, dass ich von einer relativ großen Gruppe Läufern verfolgt werde. Das hätte ich nicht erwartet, weil ich bei der letzten Teilnahme ziemlcih einsam durch die winterliche Waldlandschaft lief. So langsam macht mich das Berganlaufen mürbe. Überhaupt müsste doch bald mal Schluss sein, weiter nach oben geht’s im Elm doch gar nicht!

Eine nette Idee: Für jeden Finisher gab es einen kleinen Laufschuh als Erinnerung
Eine nette Idee: Für jeden Finisher gab es einen kleinen Laufschuh als Erinnerung

Bis zu diesem Punkt war das Rennen vergleichbar gewesen mit meiner ersten Teilnahme, wo ich für mich selbst überraschend auf dem dritten Rang meiner Alterklasse gelandet war, obwohl ich meine Leistung gar nicht besonders fand. Ich war einfach nur gelaufen. Das hatte eine gewisse Erwartungshaltung bei mir geschürt und mich glauben gemacht, heute Ähnliches auf die Strecke bringen zu können. Da hatte ich mich scheinbar geirrt.

Bald muss das Flache Streckenstück kommen, an das ich mich noch genau erinnere. Es ist eine Wendestrecke, die an einem Verpflegungspunkt beginnt. Aber mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Den Mittelteil zwischen Kilometer sechs und dreizehn, in dem ich gerade stecke, habe ich gänzlich anders in Erinnerung. Als Mischung aus flachen Passagen, die sich mit moderaten Anstiegen abwechseln. Nicht einfach, aber auch nicht zu hart. Die Diskrepanz zwischen Erinnerung und Realität kommt bestimmt nicht daher, dass damals Schnee lag, während heute immer mal wieder Regen einsetzt. Mein Hirn hat anscheindend ziemlich viel von dem beschönigt, was faktisch ein sechs Kilometer langer Anstieg und für mich heute ziemlich erschöpfend ist.

Hallelujah!, da ist die Verpflegungsstation und es geht einigermaßen flach weiter. Hilft aber auch nicht mehr, der lange Anstieg hat mir zu sehr zugesetzt, als dass ich hier noch Wunderdinge vollbringen könnte. Regelmäßig werde ich überholt, weil andere frischer, besser oder ausgeruhter sind. Ich habe meine Reserven nach dem 28 km langen Trainingslauf gestern offenbar ziemlich falsch eingeschätzt und mir das Rennen heute nicht gut eingeteilt. Schmerzhafter Fehler. Sollte zwar nur ein spontaner Spaßlauf werden, aber Bock auf eine gute Platzierung habe ich schon, bin halt ein Wettkampftyp.

Sei’s drum. Es ist ein schöner Lauf und ich sage den Helfern im Wald artig Danke für den Becher Wasser, den sie mir reichen. Helfer sind eine tolle Sache! Und ich bin froh, die Anfahrt nicht umsonst gemacht zu haben, obwohl ich eigentlich zu spät für die Nachmeldung war. Arg spät und mit fast leerem Tank hatte ich mich auf den etwa einstündigen Weg nach Königslutter am Elm gemacht und war daher sogar zur Nachmeldefrist noch zu spät gekommen. Das war selbst für meine Verhältnisse etwas sehr spontan. So konnte ich micht glücklich Schätzen, überhaupt noch in das Startfeld des Halbmarathons aufgenommen zu werden.

Noch sieht's locker aus. Das wird sich später ändern
© Andreas Grietsch @ grietsch-fotografie.de
Noch sieht’s locker aus. Das wird sich später ändern
© Andreas Grietsch @ grietsch-fotografie.de

Meine Beine würden inzwischen wohl nicht mehr von Glück sprechen, wenn sie denn reden könnten. Ihnen wäre es nicht ganz ungelegen gekommen, hätte man mich nicht mehr starten lassen. Die Laufsaison war lang und die Speicher sind für heute so leer wie der Tank meines Fahrzeugs kurz vor Königslutter. Dabei steht mir das Schlimmste heute noch bevor. Bis dahin sind es noch drei Kilometer, bis dahin ist Schonfrist.

14 km sind rum und es geht endlich mal bergab. Das sorgt sogar bei meinen müden Beinen für neues Leben. Doch auch hier ist mein Schritt kürzer und weniger dynamisch, die Muskeln sind halt müde, das kann man nicht leugnen. Vielleicht bin ich auch im Kopf müde und passe deshalb nicht mehr richtig auf. Erst stürze ich fast, nachdem ich auf einen losen Stein getreten bin, dann rutsche ich in einer Kurve auf nassem Laub weg. Nicht ganz einfache Bedingungen.

Die Hölle ist ein 1000 Meter langer Anstieg

Höhenprofl des 7. Elm-Advents-Halbmarathons
Höhenprofl des 7. Elm-Advents-Halbmarathons

Fünf Kilometer sind es noch, also nur noch einer bis zur „Hölle“, wie der ca. ein Kilometer lange Anstieg liebevoll genannt wird. Es ist einer der steilsten im Elm, der zugegebenermaßen zwar kein Hochgebirge ist, die Steigung ist aber trotzdem nicht zu verachten. Vor allem, wenn man sie hinauflaufen soll. Die rund 100 Höhenmeter braucht es heute gar nicht, um mich gar zu kochen, das hat das Rennen schon einwandfrei hinbekommen. Drumherum komme ich trotzdem nicht, ins Ziel gibt es nur einen Weg. Und die „Hölle“ ist ja schließlich auch Teil dessen, was den Reiz des Laufes ausmacht.

Zunächst versuche ich noch zu laufen, merke aber schnell: Heute läufst du da nicht hoch, das lohnt nicht. Die Minute, die ich hier verliere, macht an diesem Tag keinen Unterschied. Mir fehlen auch ganz einfach die Körner dafür. Habe ich nicht ohnehin mal gelesen, dass man Berge, deren Kuppe man nicht sehen kann, nicht hinaufläuft? Man verpulvere so nur seine Kräfte. Egal, ob es stimmt, es ist allemal eine brauchbare Ausrede! Immerhin: „Wo Schmerz ist, da ist noch Leben!“, heißt es auf einem der Schilder, mit denen der Hang präpariert ist. Ich stelle fest: Da ist aktuell viel Leben in meinen Beinen.

Nach ein paar Metern wartet das nächste Schild und fragt: „Dir tut nichts weh? Dann bist du zu langsam.“ Nein und nein. Mir tut ’ne Menge weh, wenngleich ich nur zügig gehe. Mir zieht auch das Gehen schon in den Beinen. Andere haben bessere Beine als ich und mühen sich laufend hinauf. Weil ich weiß, dass sie das Ende des Anstiegs einläuten, beginne ich erst wieder zu laufen, als ich die Klänge von „Hell’s Bells“ vernehme, die am Scheitelpunkt aus einer Anlage dröhnen. Auf der Kuppe am offiziell 313 Meter hohen Drachenberg versuche ich wieder zu Atem kommen und trete den letzten Streckenabschnitt an. Damit wäre auch das geschafft.

Es geht bergab…

…in Hinblick auf das Gelände und meine körperliche Verfassung. Jetzt sind es nur noch drei Kilometer, alle mit einem ordentlichen Gefälle. Vorgenommen habe ich mir, einige der Läufer wieder einzufangen, die mich gerade am Hang stehen lassen haben. Aber denkste. Das halbe Dutzend ist gut unterwegs und ich hole hier heute überhaupt niemanden mehr ein, nicht einmal die Dreiergruppe, die zuletzt an mir vorbeigezogen ist. Stattdessen werde ich sogar noch überholt. Manno. Inzwischen ist das zwar einerlei, aber ich mag es einfach nicht, ich komme nicht aus meiner Haut raus. Da ist er wieder, der Wettkampftyp.

Nach dem Rennen mit "Laufschuh" und Startnummer
Nach dem Rennen mit „Laufschuh“ und Startnummer

Och nö! Hinter mir nähern sich schon wieder Schritte! Diesmal nicht, so kurz vor dem Ziel möchte ich den Platz nicht mehr hergeben, den ich inne habe. Ich nehme die Beine in die Hand und freue mich, dass ein paar Spaziergänger aufmuntern: „Nur noch zwei Kurven, dann seid ihr da.“

So ist es: Eine Rechts- und eine Linkskurve später befinde ich mich auf der Zielgeraden. Genaugenommen ist es eigentlich ein gerades Stück, an dessen Ende man scharf links abbiegt, damit man durch den Zielbogen läuft.

Ich sprinte den etwas matschigen Weg entlang, halte den Läufer hinter mir und bin ziemlich froh, die Ziellinie erreicht zu haben. Das hat einigermaßen wehgetan! Aber ich bin zufrieden über meine anständige Zeit.

Weil es für den Veranstalter das 100-jähirge Jubiläum ist, bekomme ich keine Medaille überreicht, sondern – nette Idee – einen kleinen Laufschuh, der mit mir die Heimreise antritt, nur um dort von einem Zweijährigen rüde in Empfang genommen zu werden.

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