Wettkampfberichte

Wenn du gleichzeitig Bestzeit läufst und dir zwei Sekunden die Laune verhageln – 37. Celler Wasa-Lauf

Seit gestern habe ich nun also eine neue Bestzeit auf der 10-km-Strecke. Und doch könnte ich mich in den Hintern beißen, weil ich so ein sagenhaftes Rindvieh bin. Es wäre besser gewesen, den Teufel nicht an die Wand zu malen und vor dem Start zu witzeln, wie ärgerlich es wäre, genau 40 Minuten zu laufen. Oder 40:01 min. Ich spielte damit auf meine Zeit beim Bremer Silvesterlauf an, die nur unwesentlich über der 40-Minuten-Marke lag, die ich schon seit längerer Zeit zu unterbieten versuche. Es ist so etwas wie ein kleiner Läufertraum von mir – und von dem mich jetzt noch genau zwei Sekunden trennen.

Zwei Sekunden, die ich verschenkt habe, weil ich mir – wie so häufig – den Blick auf die Uhr versagt habe, weil ich das Rennen schon viel zu früh hergeschenkt habe und selbst nicht daran geglaubt hatte, es heute schaffen zu können. Das heißt, vorher hatte ich eigentlich schon ein gutes Gefühl. Die Unsicherheit in Bezug auf das Training, das ich seit der Leistungsdiagnostik drastisch umstellen musste, war nach den letzten Intervalleinheiten einer vorsichtigen Zuversicht gewichen. Ich hatte mich erst an das langsame Laufen gewöhnen müssen und war nicht überzeugt davon, dass es mir helfen würde. Doch die Ergebnisse des Tests hatten mir schonungslos gezeigt, dass ich im letzten Jahr über meine Verhältnisse gelaufen war und Ergebnisse erzielt hatte, die ich eigentlich nicht hätte erzielen dürfen. Immerhin: Auch das muss man erst einmal schaffen.

37. Celler Wasa-Lauf - Knäcke
37. Celler Wasa-Lauf – Knäcke

Heute aber fühlte ich mich gut. Trotz der 34 Kilometer, die ich zwei Tage zuvor gelaufen war und obwohl ich schon mehr als 70 Kilometer diese Woche in den Beinen hatte. Es war komisch, aber ich fühlte mich fitter als beim Silvesterlauf in Bremen, für den ich mich eigens vorbereitet und geschont hatte. Doch wo ich leistungstechnisch stehe, würde erst der Lauf zeigen. Mein Lauf-Buddy Nils war sich dessen ebenso unsicher. Sicher war dafür: Es war arschkalt. Leichter Regen und Wind ließ uns frösteln. Um warm zu werden hatten wir zwei Runden ums Residenzschloss gedreht und kommen dafür jetzt – unmittelbar vor dem Start – kaum mehr in den Startblock, der mit gut 1.500 Läufern gut gefüllt ist. Dicht an dicht stehen Läufer nahe der Startlinie. Es ist ein veritables Gedränge, das wir noch verschärfen. Weil ich fälschlicherwise davon überzeugt bin, dass es hier nur eine Bruttozeitnahme gibt, will ich genau dort hin, wo das Geschiebe am größten. So dicht an die Startlinie wie irgend möglich. Ich möchte möglichst wenig Läufer überholen müssen, die sich in der Euphorie des Startes zu weit vorne einsortiert haben. Wir drängeln uns so rücksichtsvoll es geht zwischen die wartenden Läufer. Andere sind da weit weniger zimperlich.

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Das übliche Gedränge und ein leckeres Kaugummi

Argwöhnisch beäuge ich die Läufer um uns herum. Der da, der läuft mit Sicherheit nicht wirklich schnell, meine ich zu Nils. Und der auch nicht. Ich sollte recht behalten. Mit dem Startschuss versuche ich sofort mein Tempo zu finden, bin aber trotz der guten Position zunächst hinreichend beschäftigt, niemanden in die Hacken zu rennen und Lücken zwischen den einzelnen Läufern zu finden, die breit genug sind, um hindurch zu schlüpfen. Dreihundert Meter dauert es, bis ich erstmals das Gefühl habe, frei laufen zu können. Nils ist mir mehr oder weniger dicht gefolgt. Seite an Seite passieren wir das erste Kilometerschild direkt am Residenzschloss. Wir sind im Soll und ich fühle mich einigermaßen gut. Die leichten Aggressionen vom Start haben mich gepusht. Ich bin etwas verwundert, dass Nils voll mitgeht, er war vorher doch eher defensiv in seinen Erwartungen.

Dann ein erster Dämpfer. Seit ich weiß nicht wie langer Zeit laufe ich das erste Mal mit Kaugummi im Mund und atme dieses mit einem ordentlichen Atemzug direkt in die Speisseröhre. Oder zumindest fast. Das Kaugummi mag sich nicht so recht entscheiden. Steckenbleiben, rutschen oder herauskommen? Die unkontrollierten Hustenattacken lassen es dann in meinem Inneren verschwinden. Glück gehabt. Aber jetzt brennen meine Arme. Kurzzeitig hatte ich kaum Atmen können und mein Körper lechzt nach Sauerstoff. Ganz kurz durchzuckt mich der Gedanke ans Aufgeben, dann finde ich meinen Rhythmus wieder und der Gedanke verfliegt so schnell er gekommen ist. 3:53 min/km für den zweiten Kilometer. Gute Pace, sage ich zu Nils. Etwas gepresst, weil mir das Reden nicht mehr sonderlich leicht fällt.

Ein kurzer Zusammenstoß

Weiterhin Seite an Seite gehen wir in die nächste Linkskehre. Fast haut es uns beide lang hin, weil Nils und ich unterschiedliche Taktiken im Sinn haben. Innen laufend will Nils die Kurve von der Brücke herab weniger scharf angehen als ich, was unvermeidbar dazu führt, dass wir uns gegenseitig anrempeln und kurz ineinander verhaken, den Sturz aber gerade noch vermeiden. Unbeschadet geht es weiter in Richtung Innenstadt. Die Leichtigkeit der ersten beiden Kilometer ist bei mir verflogen und ich muss etwas nachlassen. Zwar bin ich noch im Soll, aber Nils hat offenbar ein paar Körner mehr im Tank. Nach guten drei Kilometern spüre ich, wie er sich leicht absetzt und ich die Lücke nicht schließen kann. Ich laufe an der Grenze und habe Sorge, dass eine weitere Beschleunigung dazu führt, dass ich früher oder später ganz abreißen lassen muss. Also laufe ich nach Gefühl weiter und sehe zu, wie er sich Meter um Meter von mir entfernt. Nicht gerade motivierend.

Ich kämpfe mich weiter bis zum Ende der ersten Runde. Zwischenzeiten hatte ich mir für die letzten Kilometer geschenkt, war nur noch nach Gefühl gelaufen. Die wenigen Kontrollblicke, die ich auf die Uhr geworfen hatte, hatten mir den Mut genommen. Ich war offenbar immer langsamer geworden. Umso überraschter bin ich, als ich am Ende der ersten 5-km-Runde deutlich unter 20 Minuten liege. Leicht verwirrt, denke ich, dass ich sogar schneller als in Bremen bin. Kann das sein? Ja, es ist tatsächlch so. Später werde ich feststellen, dass ich 19:29 min gelaufen bin – schneller als je zuvor auf fünf Kilometern. Da mein Körper aber gerade ausreichend damit zu tun hat, das Lauftempo aufrecht zu erhalten, bin ich nicht in der Lage, über die Zeit nachzudenken und mir den nötigen Motivationsschub daraus zu ziehen. Eher mutlos und ohne den richtigen „Punch“ sehe ich der zweiten Runde bange entgegen. Ich habe Angst vor diesen fünf harten Kilometern.

Wenig Spaß in Runde zwei

Nils ist auch nach sechs Kilometern immer noch in Sichtweite. Gar nicht so weit vor mir. Einmal sehe ich ihn, wie er suchend den Kopf leicht wendet. Kurz überlege ich, ihm zu winken, aber da dreht er sich schon wieder nach vorne. Die Kilometerschilder kommen jetzt langsam. Ewig warte ich auf „2000 m“-Schild, das mir anzeigt, sieben Kilometer gelaufen zu sein. Und noch länger warte ich auf das Schild danach. Was mich zusätzlich stresst, ist meine Uhr. Erst deutlich nach jedem Schild signalisiert sie mir den nächsten vollen Kilometer. Was, wenn die Schilder in der zweiten Runde nicht mehr gelten und meine Uhr recht hat? Der Gedanke, einige hundert Meter – und seien es nur 100 – mehr laufen zu müssen, ätzt. Irgendwie bin ich in einer Art negativer Gedankenspirale gefangen. Egal, ich beiße mich weiter durch das Rennen.

Die Blicke, die ich zielgerichtet auf den kleinen Teil des Displays meiner Uhr werfe (bloß nicht versehentlich die Gesamtzeit sehen), der die Pace anzeigt, nehmen mir jede Zuversicht. 4:24, 4:57; 4:15. Wie kann ich eigentlich so schlecht in Form sein? Das ist doch für’n Arsch. Zur weiteren Demoralisierung überholen mich jetzt auch noch einigermaßen regelmäßig Läufer von hinten. Vielleicht ein halbes Dutzend. Der Abstand zu Nils wird auch nicht kleiner, wenngleich er auch nicht so viel größer wird. In meinem Zustand kann ich mir das nur so erklären, dass wir beide in etwa gleich stark abbauen. Dass Nils heute gute Beine hat und einen raushaut und ich auf gutem Niveau in Sichtweite bleibe, kommt mir gar nicht in den Sinn.

Die Läufer, die mich überholen, scheinen das nur zu bestätigen. Schnell und dynamisch kommen mir die nun nicht gerade vor. Nehmen wir den Läufer, der mich gerade überholt und mich freundlich auf meinen offenen Schnürsenkel hinweist. Der atmet nicht mal sonderlich angestrengt und das sieht eher gemächlich aus, wie er da so an mir vorbeizieht. Wie verdammt langsam bin ich denn eigentlich gerde unterwegs? Ich presse mir ein „Danke, weiß ich.“ heraus. Als hätte ich das nicht schon bemerkt. Könnte ich, würde ich ihn völlig unbegründet verwünschen. Atemnot und mein freundliches Wesen halten mich davon ab. Aber gerade habe ich schlechte Laune, weil es wehtut. Wenn ich so schlecht unterwegs bin, wie ich fürchte, dann würde die Gewissheit der Uhr endgültig den Stecker ziehen. Ich gebe auf. Nicht wortwörtlich, aber ich schenke den Lauf her. Fatal, wie sich später herausstellen soll.

Sowas kommt von sowas

Weit ist es jetzt nicht mehr bis zum Ziel und so quäle ich mich weiter. Vielleicht war der Trainingsumfang diese und die Vorwochen einfach zu hoch, um hier was reißen zu können. Zu wenig Schlaf, zu viele Kilometer, kein spezifisches Training für diesen Wettkampf. Aber ich befinde mich nun einmal in der Marathonvorbereitung und nicht im Training für eine neue 10-km-Bestleistung. Trotzdem bin ich enttäuscht von mir. Ohne die genaue Zeit zu kennen! Gehe aber weiter davon aus, mir den Blick auf die Uhr schenken zu können. Die Ernüchterung kommt noch früh genug, davon bin ich überzeugt. Selten dämlich, wie sich herausstellen wird. Ich rechne mit einer Zeit um die 42 Minuten. Gerne würde ich noch einmal beschleunigen, finde aber keine Kraft dafür. Oder nur selten. Kurzzeitig kann ich meinen Schritt wieder beschleunigen und arbeite an meinen Strategien für die harten Kilometer im Marathon. Ich muss daran denken, dass ich gerade irgendwo gelesen habe, was der Kopf für eine mächtige Waffe ist und ich sie nutzen muss. Nicht so negativ denken!

Immerhin sorgt der Kopf dafür, dass ich weitermache. Ich bin so sehr mit mir beschäftigt, dass ich von der Celler Altstadt kaum etwas wahrnehme. Nur noch durchhalten möchte ich. Dann spuckt mich die letzte Rechtskurve auf der Zielgreaden aus und fast ist es wie ein Déjà-vu. Die offizielle Uhr zählt gerade die letzten 10 Sekunden bis 40 Minuten hoch. Das gibt es doch nicht, nicht schon wieder! Wie kann es sein, dass ich doch so schnell bin? Hat mich mein Eindruck die ganze Zeit getrogen? Ich Volltrottel! Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Unversehens beschleunige ich und drehe auf. Nicht, um noch unter 40 Minuten zu bleiben, das wird nichts, dafür ist der Zielstrich zu weit entfernt. Aber vielleicht reicht es wenigstens noch für eine persönliche Bestzeit. Dafür muss ich unter 00:40:08 Std. bleiben. Auch das wird eng. Ich erreiche die Ziellinie auf der Grenze zwischen 40:07 min und 40:08 min. Das nennt man wohl Duplizität der Ereignisse. Auf die Sekunde genau wie in Bremen. Wer weiß, vielleicht hat es ja gereicht für eine Bestzeit, vielleicht bin ich noch bei 40:07 min angekommen. Noch schwer am Atmen klatscht mich Nils bereits ab und über den Lautsprecher höre ich meinen Namen. Und meine Zeit: 40:10 min. Na, danke. Wenn das offiziell ist, dann habe ich es doppelt vergeigt. Keine Bestzeit, keine Sub-40-Minuten-Zeit. Jetzt heißt es: Warten. Auf die Freundin und das offizielle Ergebnis.

37. Celler Wasa-Lauf - Meine Medaille und ich
37. Celler Wasa-Lauf – Meine Medaille und ich

Nachlese

Während erstere bereits wenig später eintrudelt, gibt es letzteres erst abends. 40:09 min verkündet meine Freundin mit ehrlichem Bedauern als sie vor dem Laptop sitzt. Sie kennt meine Bestzeit. Ich habe den Lauf eigentlich schon abgehakt, starre ins Schneegestöber im Garten und frage dann lahm, ob es eine Nettozeitmessung gab. Letzter Strohhalm. Plötzlich hellt sich ihre Stimme auf: „Warte, du warst ja viel besser!“ Kurze Pause. „…40:01. Oh nein!“

Ich glotze etwas belämmert in die Flocken und weiß nicht, was ich denken soll. Gleichzeitig freue und ärgere ich mich. Meine Bestzeit habe ich immerhin um 7 Sekunden verbessert, das ist toll. Gerade weil ich ncht mehr damit gerechnet hatte. Und auch deshalb, weil ich seit Wochen mein Training fundamental umgebaut habe und jetzt den Beweis habe, dass es anschlägt. Andererseits: Zwei Sekunden! Ich verfluche mich dafür, nicht auf die Uhr geblickt zu haben. Was hat mich nur geritten, wie kann man nur so blöd sein? Diese Winzigkeit hätte ich doch noch herausholen können, wenn ich gewusst hätte, dass ich so dicht dran bin. Zu genau darf ich nicht darüber nachdenken. Wie schnell hat man zwei Sekunden verloren? Der übliche Tumult beim Start, das verschluckte Kaugummi, der Beinahesturz mit Nils. Ein kurzes Zögern hier, ein Zaudern da. Es ist müßig und nur ein Gedankenspiel. Aber ganz sicher eines von der Sorte, das einem schlaflose Nächte bereiten könnte. Könnte. Wenn es nicht Wichtigeres gäbe.

Edit: In einer früheren Version dieses Blog-Beitrags habe ich von der 40-Minuten-Marke als Grenze zwischen Läufern und Joggern geschrieben. Diese Anspielung bezog sich auf eine gelegentlich kolportierte Aussage aus diversen Foren. Gelegentlich findet man sie auch in einschlägigen Läufermagazinen. Es handelt sich dabei um eine völlig willkürlich festgelegte Grenze. Ich habe diese Aussage aufgegriffen, weil sie zufällig mit meinem persönlichen Ziel, unter 40 Minuten zu laufen, übereinstimmt. Ich selbst halte diese Einteilung für leicht arrogant und teile die Meinung ausdrücklich nicht. Läufer ist, wer läuft. Ich habe wegen diverser Hinweise und der Missverständlichkeit die entsprechenden Passagen angepasst.

Der Lauf im Detail

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5 Comments on “Wenn du gleichzeitig Bestzeit läufst und dir zwei Sekunden die Laune verhageln – 37. Celler Wasa-Lauf

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