Wettkampfberichte

1. Kolshorner Trail Marathon

Der Wecker klingelt um 6:30 Uhr, zweieinhalb Stunden bis zum Start des Kolshorner Trail Marathons. Zeit für die übliche Routine. Wachwerden, essen, Laufrucksack packen. Die Sachen, die ich beim Lauf tragen werde, habe ich bereits am Vorabend rausgelegt, das schützt vor unnötiger Hektik. Bei „richtigen“ Wettkämpfen bin ich auch so schon immer ein nervliches Wrack und da darf nichts schief gehen. Wehe, es passiert etwas Außerplanmäßiges. Ein bisschen was von diesem speziellen Wettkampfgefühl ist heute auch da, das Kribbeln im Bauch. Schließlich wird das heute ein echter Wettkampf, mit Abstrichen zwar, aber näher wird man einem Wettkampf unter den derzeit geltenden Bedingungen nicht kommen.

Die Nervosität ist bei mir aber nur ein bisschen größer als vor einem normalen langen Lauf, vor dem ich mich jedes Mal aufs Neue frage, ob ich wirklich so weit laufen kann und will. Für das volle Wettkampfgefühl fehlen ein paar wichtige Bausteine: Zuschauer, ein gleichzeitig startendes Läuferfeld, das ganze Brimborium. Nervös werde ich aber vor allem immer dann, wenn ich meine persönliche Bestzeit laufen will, weil ich weiß, dass es hart wird, ich an meiner Leistungsgrenze laufen muss, dass alles passen muss. Zu viele Unwägbarkeiten, zu viele Fragezeichen.

Das fällt heute aus, den Angriff auf meine PB im Marathon hebe ich mir für die Post-Corona-Zeit auf. Dennoch: Schnell laufen möchte ich heute. Oder: Schneller als zuletzt. Mal wieder unter 3:30 Std. möchte ich am Ende bleiben, das wäre gut. Zumal mein Pensum derzeit relativ hoch ist. Der Start heute ist mein sechster Marathon bzw. Ultra-Marathon in diesem Jahr, für eine Bestzeit müsste ich mein Pensum rechtzeitig reduzieren und vor allem auch mein Training besser strukturieren. Aber das ist derzeit nicht mein Ziel. Ich laufe einfach nur. Weil ich Bock habe.

Coronakonformer Start

Mein persönliches Startfenster ist auf 9 Uhr gelegt, alle anderen Läufer sollen zu späteren Zeitpunkten auf die Strecke gehen. „Alle Läufer“ heißt konkret: Sieben, wenn man mich mitzählt. Dazu ist Organisator Frank selbst schon am gestrigen Freitag gelaufen. Es ist ein kleiner Lauf, der in diesem Jahr seine Premiere feiert und davon profitiert, dass alle Großveranstaltungen weiterhin ausfallen müssen. Wenn man so will, ist das positiver Nebeneffekt der derzeitigen Situation.

Wäre der Hannover Marathon nicht ausgefallen, wäre ich heute nicht am Start. Ich bin ein bisschen zu früh dran und bummle auf der Hinfahrt. Als ich den Dorfplatz passiere, ist Frank bereits mit einem anderen Läufer im Gespräch. Als dieser von dannen zieht und ich meinen Bus geparkt habe, weist Frank mich in die Strecke ein. Er hat ein kleines „Roadbook“ vorbereitet. Drei Seiten, die den Streckenverlauf beschreiben. Ich habe mir die Strecke auf meine Uhr geladen und deswegen verschwindet der Ausdruck gemeinsam mit der Startnummer im Rucksack. Dann kann es losgehen. Ach, ein bisschen Musik und ein Countdown wären jetzt toll.

In der Stille des Samstagmorgens laufe ich los. Natürlich kenne ich die Wege hier, das ist mein Trainingsterrain und ich bin hier schon oft gelaufen. Von Kolshorn geht es auf direktem Weg zurück zu mir nach Hause. Der Weg dahin: Fast drei Kilometer Feldweg, dann geht es auf Asphalt weiter. Nach vier Kilometern überhole ich den vor mir Gestarteten. Ob er weiß, dass wir im gleichen Rennen sind? Vielleicht denkt er auch, dass ich einfach irgendein Läufer bin. Knappe zehn Minuten später bin ich dann an meiner Straße. Ich überlege, was die Kinder jetzt wohl machen, dann bin ich schon vorbei. Für einen Support an der Strecke ist es für sie heute zu früh, sie dürfen ausschlafen.

Unterwegs in der Nachbarschaft

Den Verlauf der Strecke weiß ich bis zum Ende der ersten Runde auswendig. Die zweite ebenso große Runde hingegen kenne ich nicht so gut. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Noch habe ich keine zehn Kilometer hinter mir. Bisher bin ich konstant in einem Tempo von fast genau fünf Minuten pro Kilometer gelaufen. Weil ich mich gut fühle, beschleunige ich auf den nächsten Kilometern. Nach 49 Minuten 18 Sekunden habe ich zehn Kilometer hinter mir, also habe ich schon einen kleinen Puffer. Nach 16 Kilometern „gönne“ ich mir mein erstes Gel. Ich habe etwas Neues ausprobiert. Eigentlich ein Kardinalfehler, aber heute ist nicht so wichtig. Bei einem großen Wettkampf wäre ich das Risiko, das Gel nicht zu vertragen, nicht eingegangen.Etwas Skepsis schwingt mit, als ich den Beutel aufreiße. Das Gel von Aerobee ist im Prinzip Honig, angereichert mit Diesem und Jenem.

Ich habe ein Probepaket in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Ich greife blindlings in die Tasche und greife (Trommelwirbel…) Honig-Minze. Süß ist es und es kratzt ein wenig im Hals und gleichzeitig frisch. Nicht schlecht, aber ich bin kein Freund von Honig und teile mir die Tüte in kleine Bissen ein. Trotzdem ist die Mischung gut. Außerdem habe ich das Gefühl, unverzüglich eine Wirkung zu spüren. Das hatte ich bisher noch nie. Placebo? Eigentlich unwahrscheinlich, weil ich mir keine besondere Wirkung versprochen habe. Es ist halt ein Gel, ein notwendiges Übel. Aber ich bilde mir ein, dass es mir direkt in Kopf und Beine geht. Was überhaupt nicht mein Fall ist: Ein Gel habe ich in warmem Wasser aufgelöst, ausgerechnet Kakao. Boah, das ist speziell und ich bin nicht nur kein Freund von Honig, mit Kakao bin ich auch nicht gut Freund.

Halbzeit!

Mit etwas mehr Power im Tank geht es also weiter, jetzt mit großen Schritten zurück nach Kolshorn. Ein Schild warnt vor Wölfen, einen Kilometer weiter ist der Friedhof. Passt ja ganz gut. Auf dem letzten Kilometer der ersten Runde bin ich bei einer Pace von 4:36 min/km angekommen. Ich nehme etwas Tempo raus und verfalle wieder in den gleichen Kilometerschnitt wie vorher. Immer leicht unter fünf Minuten. Der erste Kilometer der zweiten Runde kommt mir lang vor. Das kann ein Anzeichen von Müdigkeit sein. Subjektiv fühle ich mich aber noch gut. Auf den nächsten Kilometern passt dann aber auch wieder das Gefühl der Erschöpfung mit der Dauer der Kilometer zusammen. Alles gut also? Nicht ganz.

Kurz bevor ich 25 km geschafft habe, kommt mir ein Fahrrad entgegen. Es ist Frank, ich erkenne ihn zunächst aber gar nicht, weil ich in der Tat ein wenig mit mir selbst zu tun habe und deswegen in mich hineinhorche. Er zeichnet noch einmal die Pfeile nach, die er mit Kreide auf die Straße gemalt hat und die mich seit jetzt gut zwei Stunden auf meinem Lauf begleiten. „Scheiß die Wand an!“, ruft er mir zu. Das ist wohl als Kompliment zu verstehen und ich muss lächeln. Gerade war ich tatsächlich in einer kleinen Leistungsdelle verschwunden.

Müdigkeit keimt auf

Doch, die Müdigkeit ist langsam spürbar. Nicht so sehr, dass ich richtig Probleme bekomme, aber das Laufen ist etwas mühsamer. Nach 28 km höre ich plötzlich jemandem im Laufschritt hinter mir. „Fuck, überholt mich da einer?“, denke ich. Ich bin verwirrt und rechne fast damit, dass ein nach mir gestarteter Läufer so viel Zeit aufgeholt hat, dass er mich jetzt überholt. Als ich kurz darüber nachdenke, fällt mir auf, dass das dann aber ein ziemlich flinkes Wiesel hätte sein müssen. Kurz darauf zeigt sich, es ist nur eine Zufallsbegegnung.

Als die Strecke scharf nach links abbiegt, komme ich auf einen Waldweg. Aus keinem bestimmten Grund bin ich gut drauf, sage mir, was das für ein guter Lauf war bisher. Eine Läuferin kommt mir entgegen, erwidert meinen Gruß aber nicht. Die hat keine gute Laune. Ihr Pech. Mein Kopf rechnet ein bisschen hin und her, parallel lutsche ich auf meinem zweiten Gel herum. Das ist eigentlich zu wenig, ich habe zu spät angefangen und müsste mehr Energie zuführen.

Aber ich kann nicht, mir bekommt das zweite Gel nicht gut. Es ist mit Limette versetzter Honig und ich verzehre es ganz langsam. Davon abgesehen fühle ich mich gut und fit, ich bin zuversichtlich, weiß aber auch, dass es schnell abwärts gehen kann. Die Kilometer 26 – 30 sind fast identisch, alle 15 Sekunden schneller als vorgenommen. Ich habe immer noch gute Beine, muss jetzt aber endlich austreten. Das wollte ich eigentlich schon vor gut zwei Stunden, jetzt lässt es sich nicht mehr aufhalten.

Der Einbruch kommt spät, aber gewaltig

Mein Ziel ist jetzt, gut bis zur 35 km-Marke zu kommen. Der erste Kilometer nach der Pinkelpause ist wieder gut und auch der zweite ist zeitlich ok. Aber das Tempo macht mir mehr Mühe. Spätestens als ich aus dem Wald komme, spüre ich einen Leistungsabfall, der rapide immer steiler wird. Die nächsten beiden Kilometer – 34 und 35 – bleibe ich knapp unter fünf Minuten, dann beginnen meine Probleme so richtig. Meine Beine werden schwerer und schwerer, die Schrittlänge sinkt, die -frequenz steigt. Jetzt geht es ans Eingemachte, jetzt tut es weh. Auf den zwei nächsten Kilometern verliere ich bereits 30 Sekunden.

Mein Zustand wird immer schlechter. Auf dem Boden sehe ich eine Kreidemarkierung, die auf die letzten Kilometer hinweist. Der Pfeil zeigt in die Richtung, aus der ich komme. In einigen Kilometern, werde ich das gerade gelaufene Stück noch einmal in entgegengesetzter Richtung laufen müssen. Leider weiß ich ziemlich genau, wo ich noch langlaufen muss, ehe ich hier wieder ankomme. Bloß nicht zu weit vorausdenken! Das killt mich jetzt. Vor mir sind Walker unterwegs und ich habe den Eindruck, nicht wesentlich schneller zu sein.

Nach einer langen Viertelstunde stehe ich wieder an der gleichen Stelle, habe jetzt fast 40 Kilometer hinter mir und bin so richtig im Arsch. Ich habe fast zwei Minuten liegen lassen und einiges an Durchhaltevermögen investieren müssen. Doch es hilft nichts, ich muss nach 40 km anhalten. Mir ist schwindelig und übel, richtig übel. Kurz bin ich mir ganz sicher, kotzen zu müssen, dann geht das Gefühl vorüber. Nach kurzer Gehpause laufe ich langsam weiter. Jetzt verliere ich richtig Zeit und kann mir ausrechnen, dass ich nicht unter 3:30 Std. bleiben werde.

Ankommen ist schon schwierig genug

Das ist mir im Moment aber auch egal, ich will einfach nur noch ankommen. Das ist schon schwierig genug. Ich wechsle zwischen Gehen und Laufen und erreich so Kolshorn. Als ich denke, dass das Ziel gleich rechts von mir ist, sehe ich einen Pfeil vor mir auf der Straße. Denkste! Ich muss noch einmal über die Kreuzung, dann erst darf ich rechts abbiegen. Scheiße, Mann! Abkürzen will ich aber nicht und quäle mich weiter. Ätzend, wie sich das nun zieht. Ich gehe noch einmal kurz, um wenigstens die letzten 100 Meter laufen zu können. Dann habe ich es hinter mir, stoppe die Uhr bei 3:33:24 Std.

Als ich mich dem Haus von Frank nähere, öffnet der schon die Tür und begrüßt mich. Ich müsse ja nur knapp über 3,5 Stunden gelaufen sein. Ich bestätige und er notiert die genaue Zeit, dann übergibt er mir meinen exzellent ausgestatteten Finisher-Beutel, den ich zuhause mit den Kindern teile. Die Zeit wird, das erfahre ich später, tatsächlich für den ersten Platz ausreichen. Eine Premiere für mich, über die ich mich trotz der kleinen Teilnehmerzahl wirklich freue und der liebevoll gestalteten Medaille einen Ehrenplatz verschaffen wird.

Der Lauf im Überblick

Distanz42, 195 km
Zeit3:33:24 Std. / 5:03 min/km
Platzierung1. von 8 Teilnehmern
AK-Platzierung
StreckeDer Kurs umfasste mehrere Schleifen, die sich in Kolshorn schnitten. Für mich war es ein Lauf durch die Nachbarschaft. Kleine, feine Veranstaltung ohne Absperrung, Beschilderung oder Zeitmessung.
BesonderheitenDie Medaille war sehr gelungen.

Der Lauf im Vergleich

VeranstaltungDatumZielzeitPaceDifferenz zur Bestzeit
30. HAJ Hannover Marathon03.04.202203:01:454:18/km
20. Gutenberg Marathon Mainz05.05.201903:15:344:38/km00:13:49
20. Piepenbrock Dresden-Marathon21.10.201803:21:104:46/km00:19:25
19. Münster Marathon12.09.202103:22:594:49/km00:21:14
33. Haspa Marathon Hamburg29.04.201803:24:054:50/km00:22:20
25. HAJ Hannover Marathon19.04.201503:27:254:55/km00:25:40
#stayathomemarathon26.04.202003:28:164:56/km00:26:31
7. VIVAWEST-Marathon19.05.201903:29:014:57/km00:27:16
9. Schloss Marienburg Marathon19.11.202203:29:454:56/km00:28:00
1. Kolshorner Trail Marathon10.04.202103:33:245:03/km00:31:39
44. Harz-Gebirgslauf08.10.202203:47:095:23/km00:45:24
17. Spielbanken Marathon Hannover06.05.200703:48:315:25/km00:46:46
7. Braunschweig - Wolfenbüttel Marathon14.10.200703:52:255:30/km00:50:40
23. RheinEnergie Marathon Köln13.10.201903:52:405:31/km00:50:55

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